12.3 Die Ableitung von Umkehrfunktionen

Eine Funktion ist umkehrbar, wenn sie nie zweimal denselben Wert annimmt. Bei stetigen Funktionen auf einem Intervall ist das genau dann der Fall, wenn sie streng monoton sind. Jetzt stellt sich logischerweise die Frage, ob für eine umkehrbare, differenzierbare Funktion auch die Umkehrabbildung differenzierbar ist. Man findet leider leicht Beispiele, dass dies nicht so sein muss. Die Funktion \(f:\mathbb {R}\to \mathbb {R}\) mit \(f( x)=x^3\) ist streng monoton wachsend und differenzierbar. Man kann auch die Umkehrfunktion explizit hinschreiben. Es ist die Funktion

\(g(x)=\left\{\begin{array}{ll}-\sqrt[3]{-x}&\;\;\text{für}\;\; x<0\\&\\\sqrt[3]{x}&\;\;\text{für}\;\;x\geq0\end{array}\right.\)

und diese ist in \(x=0\) nicht differenzierbar, sondern hat dort eine vertikale Tangente. Das liegt daran, dass \(f’( 0 )= 0\) ist. Zum Glück ist dies jedoch das einzige Problem, das bei der Differenzierbarkeit von Umkehrfunktionen auftritt. Solange \(f’\neq 0\) ist, gibt es keine Hindernisse.

Satz (Ableitung der Umkehrfunktion):

Sei \(f:[a,b]\to [c,d]\) eine stetige, streng monotone Funktion und \(g=f^{-1}:[c,d]\to [a,b]\) die zugehörige Umkehrfunktion. Falls \(f’( x_0)\neq 0\), dann ist \(f^{-1}\) in \(y_0:=f( x_0)\) differenzierbar mit Ableitung

\(g’(y_0)=g’(f(x_0))=\displaystyle\frac{1}{f’(x_0)}=\displaystyle\frac{1}{f’(g(y_0))}.\)

Bemerkung:

Differenziert man beide Seiten der Gleichung

\(g(f(x))=x\)

mit Hilfe der Kettenregel erhält man

\(g’(f(x_0))f’(x_0)=1\)

und daraus \(g’( y_0)=\displaystyle\frac {1}{f’( x_0)}\). So kann man oft die Ableitung der Umkehrfunktion bestimmen. Ein Beweis des Satzes ist dies allerdings noch nicht, denn wir haben hier schon vorausgesetzt, dass die Umkehrfunktion differenzierbar ist.

Beweis: Um zu zeigen, dass \(g\) differenzierbar an der Stelle \(y_0=f( x_0)\) ist, falls \(f’( x_0)\neq 0\) bildet man den Differenzenquotienten

\(\displaystyle\frac{g( y)-g( y_0)}{y-y_0}\)

für \(y\neq y_0=f( x_0)\). Wir können diesen Ausdruck auch schreiben als

\(\displaystyle\frac{g(f( x))-g(f( x_0))}{f( x)-f( x_0)}=\displaystyle\frac{x-x_0}{f( x)-f( x_0)}.\)


Da \(f\) in \(x_0\) differenzierbar ist, existiert der Grenzwert

\(\lim\limits_{x\to\,x_0}\displaystyle\frac{x-x_0}{f( x)-f( x_0)}=\displaystyle\frac{1}{f’( x_0)}.\)


Wegen der Stetigkeit von \(f\) bedeutet \(y\to y_0\), dass auch \(x\to x_0\) konvergiert. Also ist

\(\lim\limits_{y\to\,y_0}\displaystyle\frac{g( y)-g( y_0)}{y-y_0}=\lim\limits_{x\to\,x_0}\displaystyle\frac{x-x_0}{f( x)-f( x_0)}=\displaystyle\frac{1}{f’( x_0)}=\displaystyle\frac{1}{f’(f^{-1}(y_0))}\)


die gesuchte Ableitung von \(g\) in \(y_0\).

\( \diamondsuit \)

Die Logarithmusfunktion war definiert worden als die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion \(f( x)=e^ x\). Sie ist definiert für alle positiven Zahlen und ihre Ableitung lässt sich jetzt mit dem Satz über die Ableitung der Umkehrfunktion berechnen.

Beispiel (Ableitung der Logarithmusfunktion):

Die Umkehrfunktion zu \(f( x)=e^ x\) ist die Logarithmusfunktion \(g( y)=\ln ( y)\). Die Ableitung der Logarithmusfunktion ist also

\(g’( y)=\displaystyle\frac{1}{f’(g( y))}=\displaystyle\frac{1}{f(g( y))}=\displaystyle\frac{1}{y}.\)

oder kurz \(\displaystyle\frac {d}{dy} \ln ( y) = (\ln )’( y) = \displaystyle\frac {1}{y}\).

Sie können nun entscheiden, ob Sie die Differentiationsregeln noch an einigen Beispielen "in Aktion" sehen wollen oder direkt zum nächsten Abschnitt springen möchten.

Zuletzt geändert: Sonntag, 27. Januar 2019, 21:48