Lektionen
Weil der Tod Jesu ein Ereignis ist, muss von ihm erzählt werden, damit er in Erinnerung bleibt. Die erzählerische Weise, den Tod Jesu ins Gedächtnis zu rufen, findet sich in den Passionsgeschichten der Evangelien.
In diesen Lektionen lernen Sie die unterschiedlichen Formen und Orte kennen, an und mit denen die Erinnerung an Jesu Tod formuliert ist.
Nach jeder Lektion finden sich Repetitionsfragen. Sie können zwischen den Abschnitten wechseln und pausieren. Sie haben vier Versuche. Ihre Ergebnisse werden gesichert und Sie können zu einem späteren Zeitpunkt weiter arbeiten.
Inhalt dieses Lektionenpaketes:
- Der Tod Jesu in den Evangelien
- Der Tod Jesu in den neutestamentlichen Briefen
- Der Tod Jesu in Predigten des Neuen Testaments
- Der Tod Jesu in jüdischen und paganen Zeugnissen.
Am Ende der vier Lektionen stehen Repetitionsfragen zum gesamten Modul.
Repetitionsfragen zum Gesamtmodul:
- In welchen literarischen Gattungen wird der Tod Jesu christlich, jüdisch und römisch thematisiert? Worin unterscheiden sich neutestamentliche und nicht-christliche Quellen?
- Wie hängen Form und Inhalt der literarischen Quellentexte zum Tod Jesu zusammen?
- In welchen Traditionsprozessen hat sich der Quellenbestand zum Tod Jesu gebildet?
Lektion 4: Der Tod Jesu in jüdischen und paganen Zeugnissen
Der Tod Jesu wird in der Antike nicht nur durch das Neue Testament bezeugt, sondern auch durch jüdische und römische Quellen. Die Auskünfte sind strittig und spärlich, aber sie runden das Bild ab. Sie bestätigen das Faktum des Kreuzestodes Jesu samt seiner Verurteilung durch Pontius Pilatus. Aber sie eröffnen weder eine theologische Deutung, noch erweitern sie wesentlich das historische Wissen. Sie stehen weitgehend nicht im Widerspruch zur neutestamentlichen Tradition, auch wenn sie genuin keine Zeugnisse des Christusglaubens sind. Darin liegt ihre literarische und historische Bedeutung.
Von den außerchristlichen Zeugnissen sind zwei Erwähnungen Jesu am wichtigsten, die sich beim jüdischen Historiker Josephus in seinem um 95 n. Chr. verfassten Buch über die Jüdischen Altertümer (Antiquitates Judaicae) finden. Das Werk schildert im 18.-20. Buch die Zeitgeschichte vor Ausbruch des Jüdischen Krieges 66 n. Chr.
Im berühmt gewordenen Testimonium Flavianum wird Jesus in einem kurzen Absatz vorgestellt (ant. 18,63f.), der aber stark christlich überarbeitet worden ist (was sich dadurch erklärt, dass die älteste Überlieferungsgeschichte seines Werkes eher von christlicher als von jüdischer Seite aus erfolgt ist). Der Passus hat aber einen echten Kern. Eine wissenschaftlich ernsthaft zu erwägende Rekonstruktion:
(Eckig eingeklammert sind die sicheren Interpolationen)
Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch [wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf; er war nämlich der Vollbringer schier unglaublicher Taten und der Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen]. Er zog viele Juden [und auch viele Heiden] an sich. [Er war der Christus.] Und obgleich ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Denn er erschien ihnen am dritten Tage wieder lebendig [wie gottgesandte Propheten dies und tausend andere wunderbare Dinge von ihm vorherverkündigt hatten]. Bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen; die sich nach ihm nennen, fort. |
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Das flavianische Jesusportrait passt in das Bild von Propheten, das Josephus zeichnet. Jesus, ein Weiser, findet Zuspruch beim Volk, wird aber auf Betreiben des Hohen Rates von Pilatus zum Kreuzestod verurteilt. Seine Anhänger, die Christen, glauben, dass er von den Toten auferstanden sei.
Jakobus, der 62 n. Chr. während einer Sedisvakanz der Prokuratoren auf Veranlassung des Hohepriesters hingerichtet worden ist, wird als Bruder Jesu charakterisiert (ant. 20,200). Für Josephus ist also klar, dass Jesus eine bekannte Figur der Geschichte ist, die an dieser Stelle nicht näher vorgestellt zu werden braucht, und hilft, einen weniger Bekannten, richtig zuzuordnen.
Jesus ist für Josephus eine reale Figur, die Wirkung hinterlassen hat, trotz seines Kreuzestodes. Er hat das Schicksal vieler wahrer und falscher Prophetenerlitten, die in der Zeit vor dem Ausbruch des jüdischen Krieges aufgetreten sind.
Aus jüdischer Sicht wird Jesus auch in mittelalterlichen Traktaten talmudischer Tradition erwähnt (Sanhedrin 43a; Toledot Jeschu), freilich als Zauberer verunglimpft, der rechtens zu Tode gebracht worden sei. Die Überlieferung ist legendarisch; sie erklärt sich als Verteidigung gegen den Antisemitismus, der von christlicher Seite mit der angeblichen Schuld der Juden am Tod Jesu begründet worden ist.
Der römische Historiker Tacitus erklärt um 115-117 n. Chr. im Rahmen seines Berichtes über den Brand Roms und den Versuch Kaiser Neros, die Christen verantwortlich zu machen, woher die merkwürdige Gruppe sich herleite (annales XV 44,3):
Christus Tiberio imperiante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat. Christus war unter der Herrschaft des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden. |
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Woher Tacitus weiß, was er berichtet, ist leider unklar. Entweder hatte er Zugang zu römischen Akten, oder er greift auf, was von den Christen selbst bezeugt wird. Er verdichtet die Überlieferung auf die Information, die er seinem Publikum zu schulden glaubt. Deshalb nennt er die verantwortlichen Personen, Tiberius und Pontius Pilatus, seinen Stellvertreter in Judäa, und benennt die Todesstrafe, ohne allerdings die Kreuzigung anzusprechen. Es gibt wenige Ereignisse aus der Antike, die so gut bezeugt sind und sich in so verschiedenen Facetten spiegeln, wie die Passion und der Kreuzestod Jesu. Die Positionen der Texte spannen sich zwischen gläubiger Verehrung in den neutestamentlichen Texten, verbunden mit kreativer Erinnerung und theologischer Reflexion, über skeptische Distanz bei Tacitus bis hin zu polemischer Abwertung im Talmud. Immer gibt es eine narrative Struktur, weil ein Geschehen bezeugt wird, nicht nur in den Erzählungen, sondern auch in den Bekenntnissen und Predigten.