Lektion 2: Der Tod Jesu in den neutestamentlichen Briefen

In den Briefen des Neuen Testaments wird der Tod Jesu zum Bekenntnis, das seinerseits die Erinnerung an Jesus schärft, und zum Gegenstand theologischer Reflexion. Beides ist gleichfalls notwendig, weil sich angesichts des Todes Jesu die Glaubensfrage als Gottesfrage stellt und nach einer Antwort sucht, die von der Ekklesia als ganzer gegeben werden kann. 

Die Bekenntnisse, die als – mehr oder weniger deutlich zu identifizierende - Zitate in die Briefe eingebaut sind, sind im gesamten Zeitraum herausgebildet worden, in dem auch die Passionstradition, die mit der Verkündigung und dem Geschick Jesu verknüpft ist, gebildet worden ist.

Die ältesten Zeugnisse sind die Paulusbriefe, die, zwischen 50 und 57 n. Chr. geschrieben, vielfach aus Bekenntnissen der Urgemeinde zitieren (vgl. 1Kor 15,3-5). Die Linie wird von der Paulusschule bis an die Jahrhundertgrenze ausgezogen (Kol – Eph – 2Thess – 1/2Tim; Tit), und zwar so, dass immer wieder archaische (vgl. 1Tim 2,5f.), aber auch – damals – moderne Bekenntnisse (Tit 3,4f.) integriert werden. Der Hebräerbrief appelliert an das Bekenntnis zu Tod und Auferstehung Jesu, ohne es formelhaft zu zitieren. In den Katholischen Briefen werden – auf die synoptische und paulinische Tradition abgestimmt (1Petr) und mit dem Johannesevangelium kongruent (1Joh) – im letzten Drittel des neutestamentlichen Jahrhunderts weitere Bekenntnistraditionen eingefangen, die einen Eindruck vom Reichtum der Sprache vermitteln. 

Der Tod Jesu ist in den allermeisten neutestamentlichen Briefen ein zentrales Thema. Nur der Jakobusbrief ist zurückhaltend – aber nicht, weil er dem Tod Jesu keine fundamentale Bedeutung beimessen würde, sondern weil er sie voraussetzt. 

Die Bekenntnisse suchen nach einer klaren, einfachen, verständlichen, radikal positiven Sprache, der alle zustimmen können. Der genuine Ort der Bekenntnisse ist die Liturgie, in erster Linie die Taufe. Die entscheidende theologische Aussage der Bekenntnisse besteht darin, dass dem Tod Jesu Heilsbedeutung zuerkannt wird: 

Ein erster Aspekt ist das „Für“ des Todes, das in Richtung Sündenvergebung, Versöhnung, Friedensstiftung, Heiligung, Reinigung, Rechtfertigung, Einsetzung zu Söhnen, Loskauf, Befreiung entfaltet werden kann. Hier wird der Zusammenhang mit der Auferweckung und Parusie wesentlich.

Ein zweiter Aspekt ist die Hingabe Jesu, sei es unter dem Aspekt der Hingabe der Auslieferung, der Sendung durch Gott, sei es unter dem Aspekt der Selbsthingabe, des Gehorsams, der Liebe, der Selbsterniedrigung, der Armut Jesu. Hier wird der Zusammenhang mit der Präexistenz und Menschwerdung wesentlich.

Die Bekenntnisse stellen eine gemeinsame Basis für das Glaubensgespräch her, sind aber auch drauf angelegt, das Wissen um die Geschichte zu schärfen, weshalb sie eine narrative Grundstruktur haben, und das Nachdenken des Glaubens zu inspirieren, weshalb es keine uniforme Sprachregelung gibt, sondern eine Bandbreite an Vorstellungen und Begriffen. Die Bekenntnisse haben die Erzählungen stimuliert, aber die Erzählungen umgekehrt auch die Bekenntnisse. 

Zu den Begriffen treten die Bilder, weil der Tod Jesu das Glaubensbekenntnis, aber auch die religiöse Symbolik braucht, um anschaulich werden zu können. Es sind Bilder, die teils in der Evangelientradition, teils aber ebenso in der Briefliteratur wurzeln. Sie sind in der Johannesoffenbarung besonders ausgeprägt. Das Lamm Gottes ist ein Beispiel von vielen. 

Weil der Tod Jesu zu denken gibt, finden sich in den Briefen zahlreiche theologische Reflexionen, die einerseits dokumentieren, wie lebendig und kontrovers die Auseinandersetzungen um den Tod im Urchristentum gewesen sind, andererseits aber auch zeigen, welches theologische Potential die Überlieferung hat, die sich im Bekenntnis verdichtet. 

Bei Paulus entwickelt sich eine explizite Kreuzestheologie, die das Skandalöse und Paradoxe bedenkt: Der Verfluchte ist ein Segen (Gal 3,13f.). Der Törichte ist der Weise (1Kor 1,18-24). So kann alles Unheil in Heil verwandelt werden. Im Hebräerbrief entwickelt sich eine Theologie des Hohepriestertums Jesu, deren Pointe ist, dass Jesus Priester und Opfer zugleich ist. Bei Johannes entwickelt sich eine Theologie der Liebe Gottes, die aus der Gabe den Gewinn ableitet: Leben für die Welt durch den Tod des Sohnes Gottes. 

Die Aufgabe der theologischen Reflexion besteht im Kern darin, nicht nur dem vergangenen Ereignis gerecht zu werden, sondern seine Gegenwartsbedeutung für alle Zeit und Ewigkeit zu erhellen. Deshalb ist das Ziel nicht nur eine Theorie des Glaubens an den Tod Jesu, sondern auch eine Praxis, die von der Bedeutung des Todes Jesu für die Glaubenden und die Nicht-Glaubenden handelt. 


Sie haben 14% der Lektion erledigt.
14%