Pietismus, Lutherische und Reformierte Orthodoxie

Pietismus, Lutherische und Reformierte Orthodoxie

von Elisa Giancani -
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Spener verstand sich als lutherischer Theologe und auch wenn sich der Pietismus als Epoche und Strömung unter anderem auf Grundlage seiner Theologie entwickelte gibt es Gemeinsamkeiten und eine gemeinsame Basis. Diese liegt in den vier Soli Luthers, insbesondere in sola scriptura. Sowohl in der lutherischen Orthodoxie als auch im Pietismus sind die biblischen Zeugnisse und die Exegese.

Während in der lutherischen Orthodoxie allerdings vor allem dogmatische Fragen stark diskutiert werden (insbesondere in den Streitigkeiten der Frühorthodoxie), gewichtet Spener die Exegese an die Spitze der theologischen Disziplinen. Außerdem wertet er die Praktische Theologie auf, da es ihm auf Grundlage des Evangeliums um den praktischen frommen Lebenswandel in Nächstenliebe geht.  Außerdem wird in der lutherischen Orthodoxie ein großer Wert auf Auswendiglernen gelegt. Im Gegensatz zu dem starren Auswendiglernen und der Konzentrierung auf dogmatische Fragen betont der Pietismus das „Priestertum aller Gläubigen“ und die verstärkte Ausübung der Nächstenliebe.

Spener teilt des Weitere zwar Luthers Rechtfertigungslehre, ist allerdings interessierter an dem Lebenswandel. Ebenso wie bei Luther muss sich aus dem Empfang des Evangeliums auf Grundlage von Gnade etwas ändern, allerdings betont Spener diesen Aspekt mehr und ihm liegt deswegen an der Vervollkommnung des Menschen. Im Leben muss ein Wachstum der Heilung erkennbar werden. So ist für Spener das Evangelium weniger Trost (Luther), sondern vielmehr eine Anweisung zum Handeln.

Im Gegensatz zum Reformiertentum, das eine strenge Kirchendisziplin pflegt, gibt es im Pietismus eine andere Form der Gemeinschaft: Die Gläubigen bilden eine Weggemeinschaft, die sich gegenseitig ermahnen und unterstützen soll, ohne dass die Form einer ausgeprägten Kirchenzucht existiert. Beide Strömungen haben aber gemeinsam, dass sie zu “extremeren” Formen neigen. So ist im Reformiertentum das Bilderverbot und die Schlichtheit des Kirchraumes entscheidend. Im Pietismus wird auch eine bestimmte Frömmigkeit und “Einfachheit” gelebt: Verzicht auf Luxus, Schmuck und Vergnügung (wie bspw. in Hamburg das Untersagen der Opernbesuche).

Des Weiteren legt die reformierte Tradition, zum Beispiel im Heidelberger Katechismus, den Schwerpunkt auf die Anthropologie (der Mensch als schlechtes Wesen).  Dem gegenüber geht es dem Pietismus um das religiöse Leben und die Ethik. Außerdem gibt es im Reformiertentum philosophischen Einflüsse im Bezug auf das Theologiestudium (Philosophie als Propädeutikum und dauerhaftes Handwerk oder im Ramismus). Spener spricht sich für eine Entschlackung des Theologiestudiums aus und auf eine Fokussierung auf das Evangelium.

Als Antwort auf Elisa Giancani

Re: Pietismus, Lutherische und Reformierte Orthodoxie

von Thea Jansen -
Ich würde meiner Kommilitonin zustimmen, finde aber als Zusatz noch das verschiedene Verständnis der praxisorientierten Theologie erwähnenswert.

Speners Kritik an der Orthodoxie und teilweise auch an der reformierten Tradition bezog sich auf eine Theologie, die sich zu sehr in theologische Debatten und dogmatische Streitfragen vertiefte und sich dementsprechend nicht so viel um die praktischen Auswirkungen des persönlichen Glaubens gekümmert hat.
Anspruch war jedoch, dass Theologen ihre Glaubensinhalte nicht nur lehren sondern auch vorleben sollte, also konträr stehend zur Orthodoxie in der zwar auch hohe moralische Ansprüche auf den Amtsträgern lagen, diese wurden aber nicht als zwingend für die Wirksamkeit der Lehre betrachtet.
Grade dieses Verständnis von Moral und moralisch einwandfreiem Leben findet sich aber sowohl im Pietismus als auch in der reformierten Theologie. Dies zwar mit unterschiedlichen Schwerpunkten aber es ging dennoch um Moral. In der Orthodoxie sah man die Moral vor allem als Einhalten kirchlicher Regeln und weniger als Ausdruck von innerer und lebendiger Frömmigkeit, die reformierte Theologie forderte dazu ein Tugendhaftes Leben zu führen und der Pietismus ging noch weiter und wollte persönliche so wie gemeinschaftliche Heilung erreichen.

Speners pietistisches Programm hat sich also deutlich von der Orthodoxie abgegrenzt indem es die persönliche Frömmigkeit und die Praxis des Glaubns über die dogmatischen Strenge gestellt hat. Die Forderung an den Lebenswandel zeigt zudem Speners tiefen Glauben an eine Theologie, die nicht nur gelehrt, sondern vorgelebt wird, und unterstreicht seine Absicht, Kirche von innen heraus zu reformieren.