Seit der Reformation hat sich das Selbstverständnis der Theologie stark verändert. Während im Zeitalter der lutherischen Orthodoxie die Theologie darauf ausgerichtet war eine wahre Erkenntnis zu verkünden, wandelte sich dieser Anspruch im Laufe der Jahrhunderte. Die lutherische Orthodoxie betonte eine feste Bindung an Lehre und Tradition. „Aus der Bewegung wurde eine konsolidierte Konfession“ und sie stand für eine klare und eindeutige Auslegung des göttlichen Willens, wie er in der Bibel und den kirchlichen Bekenntnissen formuliert wurde. Im konfessionellen Zeitalter war die Theologie ein Bollwerk der Wahrheit, welches sich gegen Abweichungen und neue Einflüsse wehrte. Es herrschte die Überzeugung, dass die Wahrheit Gottes klar erkannt und gelehrt werden konnte und das ohne Spielraum für unterschiedliche Interpretationen. Diese Festigkeit änderte sich jedoch im Laufe der Zeit, als etwa die historisch-kritische Exegese eine viel offenere, kritische und interpretierbare Sicht auf die Heiligen Schriften eröffnete. Und auch vor dieser wurde die klare Wahrheit immer mehr kritisch gesehen.
Heute befinden wir uns auch in einer Zeit der Orientierungslosigkeit. Nihilismus wird immer verlockender und viele Menschen suchen nach klaren Richtlinien. Guidelines-Influencer und fundamentalistische Strömungen gewinnen immer mehr an Zuspruch, weil sie einfache, klare Antworten bieten. Hier liegt die Chance der orthodoxen Theologie und somit der lutherischen Orthodoxie. Sie bietet klare Regeln und feste Strukturen, die in einer verwirrenden Welt Halt geben können. Ihre Beständigkeit und ihr festes Regelwerk schaffen Ordnung und bieten Sicherheit. Doch in dieser Orientierung an festen Wahrheiten liegt auch eine Gefahr. Gerade in einer Zeit, in der wir eine offene und freie Welt anstreben, wie sie zum Beispiel Bloch skizzierte, erscheint die starre orthodoxe Theologie als ein Rückschritt. Genauso wie jegliche Religion es für Bloch waren, aber er lobte das Christentum immer für seinen Exodus.
Die lutherische Orthodoxie bringt uns letztlich wieder näher zum Katholizismus zurück, zu denselben Problemen, die bereits vor der Reformation zu Spannungen führten. In einer Welt, die nach Offenheit strebt, in der Theologie immer mehr im Dialog steht und in der pluralistische Ansätze gefragt sind, passt diese Form der Orthodoxie nicht mehr in das moderne Denken. Deshalb nimmt auch der Zuspruch dort ab. Sie steht im Widerspruch zu dem Bestreben nach einer Theologie, die offen, dynamisch und dialogbereit ist, einer Theologie, die nicht nur Sicherheit bietet, sondern auch Raum für Veränderung und Vielfalt lässt.