Die „Arbeitsgesellschaft“ (Arendt 1960) steht heute aufgrund der Digitalisierung und des Einsatzes KĂŒnstlicher Intelligenz, der Globalisierung und Flexibilisierung vor erheblichen Herausforderungen, deren soziale Konsequenzen durch die Entgrenzung von Arbeit sowie globale Ungleichheiten verschĂ€rft werden. Der in den westlichen Gesellschaften geltende Anspruch an das Arbeiten, das die soziale Strukturbildung, die gesellschaftliche Positionierung und die persönliche IdentitĂ€tsbildung bestimmt, wird ausgeweitet und transformiert, so dass sich Arbeits- und LebensverhĂ€ltnisse kaum noch voneinander unterscheiden lassen. Selbst Felder, die traditionell nicht der Erwerbsarbeit angehörten (Care-Arbeit, ehrenamtliche Arbeit, Reproduktionsarbeit), werden mit ausgelagerter Niedriglohn- und Dienstleistungsarbeit verschrĂ€nkt, wobei die horizontale und vertikale Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt weitestgehend erhalten bleiben. Dazu gehört auch die kĂŒnstlerische Arbeit, die als kreative, entgrenzte und flexible Arbeit par excellence spĂ€testens seit den 1990er Jahren als ‚Avantgarde‘ der gegenwĂ€rtigen Arbeitsgesellschaft gilt. Das neoliberale Freiheitsversprechen des ‚kreativen Imperativs‘ (Osten 2003) nach Selbstverwirklichung und Autonomie hat sich jedoch keineswegs eingelöst, sondern – mit einigen Ausnahmen im Management – neue Formen von Ausbeutung hervorgebracht.

Das VerhĂ€ltnis von Kunst und Arbeitskultur wurde in der Kunstgeschichte bisher in erster Linie als Frage der ReprĂ€sentation, Motivgeschichte oder Ikonographie aufgefasst, oftmals gekoppelt mit einem dem 19. Jahrhundert entlehnten Arbeitsbegriff. Im Fokus der Ringvorlesung stehen hingegen die WechselverhĂ€ltnisse von kĂŒnstlerischer Produktion und historischen sowie gegenwĂ€rtigen Arbeitskulturen, die aus interdisziplinĂ€rer Perspektive diskutiert werden. Dieser Zusammenhang ist in der Kunstgeschichte bisher wenig untersucht, obwohl Arbeiten in der Tradition des globalen Nordens seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr als Drangsal, sondern als Inbegriff menschlicher TĂ€tigkeit und wesentliche Bedingung menschlichen Daseins verstanden wird.
Die Ringvorlesung wird mit einer Klausur abgeschlossen.
EinfĂŒhrende Literatur:
Julieta Aranda/Brian Kuan Wood/Anton Vidokle (Hg.): Are You Working Too Much? Post-Fordism, Precarity, and the Labor of Art. e-flux journal Series, Berlin 2011

Hannah Arendt: Vita Activa oder vom tÀtigen Leben, Stuttgart 1960
Gianenrico Bernasconi/Stefan Nellen: Das BĂŒro. Zur Rationalisierung des Interieurs, 1880–1960, Bielefeld 2020

Luc Boltanski/Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003

Maurizio Lazzarato: Immaterielle Arbeit. Ästhetisierung der Politik und der Produktion unter den Bedingungen des Postfordismus, in: Thomas Atzert (Hg.): Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion, Berlin 1998, S. 39–52

Anja Lemke/Alexander Weinstock (Hg.): Kunst und Arbeit. Zum VerhĂ€ltnis von Ästhetik und Arbeitsanthropologie vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2014

Marion von Osten (Hg.): Norm der Abweichung, ZĂŒrich 2003

Gerald Raunig/Ulf Wuggenig (Hg.): Kritik der KreativitÀt, Wien 2016.

Friederike Sigler (Hg.): Work. Documents of Contemporary Art, London, Cambridge 2017

Semester: ST 2024