Orthodoxie

Orthodoxie

von Melina Puhlmann -
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Das Selbstverständnis der evangelischen Theologie hat sich seit der Reformationszeit dahingehend verändert, dass sehr viel Wert auf die Abgrenzung zu anderen Konfessionen – aus Sicht der lutherischen Orthodoxie insbesondere zum Katholizismus und Calvinismus - gelegt wurde. Wie auch von Markus Matthias betont, sah sich die Orthodoxie als wahre Erkenntnis an, sie konzentrierte sich auf die reine Lehre und eine systematisch konzeptionierte Dogmatik.

Dies kann auch als Rückfall in den Katholizismus gewertet werden, da diese starren, dogmatischen Systeme eigentlich Luthers Bestreben, welches in der Korrelation der Lehre und dem Glaubensleben der Gemeinde durch die Predigt lag, nicht nachgeht.

Die Chancen orthodoxer Theolgie sind, meiner Meinung nach, die Sicherung von Tradition und der starken Gemeinschaft innerhalb einzelner Meinungen, die eben oft durch Abgrenzung von anderen gestärkt wird. Außerdem können Vorteile durchaus auch in der klaren Ausarbeitung von Ordnungen und Richtlinien, die die Kirche vorgibt, liegen.

Grenzen hat die orthodoxe Theologie in der Theorie in dem fehlenden Bezug zur Praxis, wobei man auch erwähnen muss, dass es durchaus im Rahmen der Orthodxie seelsorgerliche Texte gab, die jedoch keinen Eingang in die Wissenschaft gefunden haben. Auch die strukturelle Ausgrenzung anderer Konfessionen und vor allem religiöser Minderheiten muss kritisch betrachtet werden.

Als Antwort auf Melina Puhlmann

Re: Orthodoxie

von Elisabeth Dexling -
Ich möchte mich meiner Kommilitonin anschließen und folgendes zur Entwicklung/zum Wandel der evangelischen Theologie seit der Reformation beitragen: Ich sehe auch eine wachsende Ambivalenz der gepflegten Orthodoxie, die sich auch in einer Diskrepanz zwischen Praxis und theoretischer Wissenschaft niederschlägt: Mein Eindruck ist, dass es wieder wichtiger für persönliche Frömmigkeit und Gemeindeleben geworden ist, sich auf der Suche nach einer Selbstdefiniton von Anderen abzugrenzen. Über das Andere wird das Selbst definiert. In diesem Prozess kommt es zum Othering der nicht zur Gruppe gehörigen Christ*innen. Mir scheint das Thema der Kindertaufe hier besonders brisant zu sein. Gleichzeitig beobachte ich an den Universitäten immer mehr Beachtung von ökumenischem Potenzial. Als Voraussetzung für die wissenschaftliche Definition der evangelischen Theologie zählt obendrein keine dogmatische Festlegung einer Orthodoxie, sondern die Pluralität der Theologien wird zum Definitionsmerkmal. Wir sind viele evangelische Theologien, wobei keine gültiger als die Andere ist. Jedoch darf (und muss?)für sich basierend auf den wissenschaftlichen Methoden, argumentativ eine eigene Position entwickelt werden. Diese eigene Position bildet dann das Scharnier für den Pfarrdienst, wo von Theolog*innen oft eine klare Positionierung abgefragt wird. Passt die jeweilige Person zu der jeweiligen Gemeinde? Ist die jeweilige Person "rechtgläubig" im Sinne der Gemeinde? Hier nehme ich nochmals das Beispiel Kindstaufe auf: Wer in einer baptistischen Gemeinde Anstellung erhofft, aber Kindstaufe theologisch vertritt, wird es womöglich schwer haben die nächste Runde des Bewerbungsverfahrens zu erreichen.