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Unter den Begriff Sexueller Revolution fasst man den Gedanken, dass die Befreiung der Sexualität zugleich zur allgemeinen gesellschaftlichen Befreiung beitragen könnte. Nach Vorläufern um 1900 wie bei der sowjetischen Politikerin und Schriftstellerin Alexandra Kollontai und der Begriffsprägung in den späten 1920er und 1930er Jahren an der Schnittstelle von Psychoanalyse und Marxismus, gewann dieser Gedanke vor allem in den 1960er Jahren an Popularität. Er verbreitet sich im Kontext von Gegenkultur, Hippie-Bewegung und Studentenprotesten und bildete die Grundlage für experimentelle Lebensweisen wie Kommune und Kinderladen, für die sogenannte Freie Liebe und Selbsterfahrungsgruppen.

Die Literatur spielte in diesem Prozess eine zentrale Rolle. Einerseits sollte sie – gemeinsam mit anderen Künsten – eine „neue Sensibilität“ (Herbert Marcuse) kultivieren, die als entscheidender Schritt zu Selbst- und Weltveränderung verstanden wurde. Explizite Darstellungen und experimentelle Verfahren wie das Cut-Up oder die Comicmontage von Arno Schmidt bis Rolf Dieter Brinkmann stellten nicht nur gesellschaftliche Normen infrage und gerieten dabei teilweise mit dem Gesetzbuch in Konflikt, sondern brachten auch die literarischen Konventionen der bundesrepublikanischen Nachkriegsmoderne wie die Unterscheidung von Hoch- und Populärkultur durcheinander. Andererseits wurde Literatur zu einem Medium, in dem die nicht ausschließlich positiven Erfahrungen mit der grundlegenden Umwälzung der Liebesordnung verarbeitet wurden, etwa in autobiografischen und dokumentarischen Schreibweisen. Besonders Autorinnen der Zweiten Frauenbewegung – von Verena Stefan und Karin Struck bis zu Svende Merian – reflektierten ab den 1970er Jahren die Ernüchterung darüber, dass der Einsatz an der „Sexfront“ häufig weniger ihre Emanzipation als vielmehr die Befriedigung ihrer Genossen zum Ziel hatte.

Das Seminar liest ausgewählte theoretische und literarische Texte von 1920er Jahren bis heute. Im Zentrum steht die Frage, was wir aus der Literatur über die Versprechen, Enttäuschungen aber auch Möglichkeiten der Sexuellen Revolution erfahren können – und welche Spuren sie in der neueren deutschsprachigen Literaturgeschichte etwa bei Autorinnen wie Charlotte Roche oder Uli Lust hinterlassen hat.

Zur vorbereitenden Lektüre wird empfohlen: Eitler, Pascal, „Die ‚sexuelle Revolution‘ – Körperpolitiken um 1968“, in: Klimke, Martin / Scharloth, Joachim (Hg.), 1968. Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Stuttgart 2007, S. 235–246.

Die Seminarmaterialien werden rechtzeitig im Moodle-Kurs zum Seminar zur Verfügung gestellt.

Semester: WiSe 2025/26
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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