
“I asked a man what Law was. He replied it was a guarantee of the exercise of possibility. […] I ate him.“
Oswald de Andrade (1928): Anthropophagic Manifesto, übers. v.: Conttren (2020).
In der sublimierten Form der Eucharistie ist das Anthropophage zwar in den christlichen Glauben eingeschrieben, doch erhielt das Kannibalische im Zuge der Kolonialisierung Amerikas das Stigma absoluter Fremdartigkeit. ‚Die wilde Menschenfresserin‘ (dezidiert weiblich) wurde zum Sinnbild des zu Unterwerfenden, während die christliche Kultur das ihr eigene kannibalische Denken konsequent leugnete.
Das Seminar fragt danach, wie sich das hier grundierte Verhältnis zwischen Eigenem und (vermeintlich) Fremdem, das die Figur des Anthropophagen unweigerlich austariert, im Film ausdrückt. Wie verändern sich Bilder der Anthropophagie im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts? Variieren sie von Land zu Land, von Filmkultur zu Filmkultur oder lassen sich wiederkehrende Muster erkennen?
Des Weiteren soll die These diskutiert werden, dass es neben der Darstellung von anthropophagen Figuren auch eine dem Film inhärente ‚anthropophage Schaulust‘ gibt. Diese These orientiert sich an der Erhebung des Anthropophagen zum ästhetischen Prinzip, wie sie die sogenannte ‚Anthropophagie Bewegung‘ um Oswald de Andrade im Brasilien des frühen 20. Jh. vollführte. Wenn man nun die Ansätze dieser Bewegung auf den Film überträgt (wie es eine Vielzahl brasilianischer Filmwissenschaftler*innen unlängst tut), lassen sich dann filmische Modi der Aneignung, Verdauung und Ausscheidung benennen? Gibt es ein ‘Verschlingen mit den Augen‘? Wie könnte eine anthropophage Filmästhetik aussehen?
- Kursleiter/in: Hannah Peuker
- Kursleiter/in: Hannah Peuker