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Seit einigen Jahren gibt es in den bildenden und szenischen Künsten eine zunehmende Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Gewaltgeschichte(n). Zugleich ist zu sehen, wie dabei speziell zwischen der Auseinandersetzung mit Rassismus einer- sowie Antisemitismus andererseits immer wieder enorme Spannungsfelder entstehen. Teil dieser Dispute ist auch die Frage, in welchem Verhältnis Holocaust/Shoah und koloniale Genozide zueinanderstehen. Emblematische Beispiele sind für diesen immer stärker aufflammenden Streit die vehement geführten Debatten etwa um die Einladung des Philosophen Achille Mbembe zur Ruhrtriennale angesichts seiner Haltung zu Israel und der BDS-Kampagne oder um die antisemitischen Darstellungen bei der documenta fifteen. Durch das brutale Massaker der Hamas und dem seither in Gaza stattfindenden Krieg haben sich diese Auseinandersetzungen auch im künstlerischen Feld noch einmal zugespitzt.

Angesichts dessen tritt das Seminar einen Schritt zurück: Was zeichnet jeweils Rassismus und Antisemitismus aus? Was verbindet, was unterscheidet sie? Welche Formen gibt es jeweils? Und wo liegen Probleme im Kampf gegen das eine und das andere – speziell im Feld von Gegenwartskunst und -theater? Ausgangspunkt bildet die Feststellung, dass Rassismus und Antisemitismus zwar miteinander verflochten sind, jedoch nicht ineinander aufgehen. Rassismus lässt sich gemäß dem jüdischen franco-algerischen Soziologen Albert Memmi definieren als die „verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Vorteil des Anklägers und zum Nachteil seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.“ Dennoch ist Antisemitismus nicht einfach eine Unterform von Rassismus.


Das Seminar dient somit dazu, den Umgang mit Ambivalenzen und Komplexitäten zu schulen, vor allem weil für Widersprüche nicht immer gleich Lösungen parat stehen. Hierfür werden wir uns anfangs mit einigen Definitionen befassen, um sodann einen historiografischen Blick auf christlichen Antijudaismus sowie die neuzeitliche Rassifizierung zu werfen. Sodann werden wir uns mit verschiedenen theoretischen Positionen beschäftigen, die sich mit Rassismus und/oder Antisemitismus in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen auseinandersetzen. Angedacht sind Texte von: Kwame Anthony Appiah, Manuela Bojadzijev, Dan Diner, W.E.B. DuBois, Frantz Fanon, Grada Kilomba, Delphine Horvilleur, Albert Memmi und Natan Sznaider. Damit bewegt sich der Kurs nicht unbedingt direkt an Darstellungsfragen und explizit künstlerischen Themen entlang – wohl werden wir aber gemeinsam den Bezug zu den Debatten in Kunst, Kultur und Kuration herausstellen.

Hinweise:

Um uns angemessen mit den durchaus schwierigen Kursinhalten zu befassen, ist eine Sensibilisierung seitens aller Teilnehmenden hinsichtlich der eigenen Positionierung dringend notwendig. Ebenso bedarf es eines respektvollen Umgangs miteinander im Sinne eines geteilten Lernraumes. Gleichwohl handelt es sich bei diesem Kurs NICHT um einen Antidiskriminierungs-Workshop, sondern um ein wissenschaftliches Seminar, in dem wir uns mit Diskursen und Theorien beschäftigen. Wer sich deshalb noch gar nicht mit beiden oder nur mit einem der beiden Themen Antisemitismus und Rassismus befasst hat, muss unbedingt vorher den unter „Vorbereitende Lektüre“ angegebenen Hinweis zum aktuellen Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung zu „Rassismus“ durcharbeiten. (Sollten Sie überdies Interesse an Fragen zur Bildungsarbeit angesichts des Krieges in Israel/palästina haben, so sind die Initiativen, Texte und Interviews von/mit Burak Yilmaz sowie Jouanna Hassoun/Shai Hoffmann zu empfehlen.)


Das Seminar richtet sich an fortgeschrittene BA-Studierende (ab dem 4. Semester; Abschluss der propädeutischen Module Voraussetzung) und MA-Studierende (alle Semester). Eine Anwesenheit in der ersten Sitzung ist unbedingt notwendig (bei Verhinderung müssen Sie sich beim Seminarleiter per Mail melden).


Beginn der 1. Sitzung: 18.04.2024, 14 Uhr


Anforderungen für:

-TN: Gruppenexpertise, regelmäßige aktive Teilnahme

-LN: zusätzlich zu TN Hausarbeit, mündliche Prüfung oder alternatives Format



Deutsch:

Vorbereitende Lektüre:

- Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier „Rassismus“, https://www.bpb.de/themen/rassismus-diskriminierung/rassismus/ (siehe hier vor allem die Beiträge von Christian Geulen, Manuela Bojadzijev und Karin Stögner)

- Stuart Hall: „Das Spektakel des ‚Anderen‘, in: Ders.: Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, hgg. v. Koivisto, Juha/Merkens, Andreas. Hamburg 2004, S. 108-166.

- Wulf D. Hund: „Rassen made in Germany“, in: Ders.: Wie die Deutschen weiss wurden. Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus, Stuttgart 2017, S. 79-96.

- Ronya Othmann: „Die blinden Flecken antirassistischer Diskurse“, https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/507449/die-blinden-flecken-antirassistischer-diskurse/ (20.11.2023)

- Hans-Christian Petersen/Jannis Panagiotidis: „Rassismus gegen Weiße? Für eine Osterweiterung der deutschen Rassismusdebatte“, 23.02.2022, https://geschichtedergegenwart.ch/rassismus-gegen-weisse-fuer-eine-osterweiterung-der-deutschen-rassismusdebatte/


Semester: SoSe 2024
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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