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Do, 12-14 Uhr, mit Campuspräsenz, falls möglich (synchron), sonst wöchentliche Zoom-Sitzungen + Moodlekurs. Erste Sitzung: 22.4.2021

In Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz (1943) heißt es so bezeichnend: "Alle großen Leute waren einmal Kinder, aber nur wenige erinnern sich daran." In diesem Seminar geht es darum, anhand vielgestaltiger Beispiele aus deutschsprachiger, aber auch französisch- und englischsprachiger Prosa unsere Erinnerung an die Zeit der Kindheit und Jugend aufzufrischen bzw. diese Zeit nachzulesen, und dies vor der Folie der Werke namenhafter Autoren, die ganz augenfällig nicht vergessen haben, einmal Kind gewesen zu sein.

Nun stellt die Annahme einer Kinderperspektive höchste Anforderungen an die Kunstfertigkeit des Schriftstellers, weil Kinder mehr empfinden können als sie in der Lage wären, abstrakt zu durchdenken bzw. unmittelbar zu formulieren. Daher verbietet es sich für die Autoren in der Regel, wie sich zeigen wird, um der Identifikation mit Kinderwelten willen, dem Leser ein homodiegetisches Ich-Erzählen des Kindes anzubieten; würde dies doch nicht kunstvoll, sondern künstlich wirken. Aus diesem Grund wird anhand ausgefeilter stilistischer Fokalisationen dem Leser eine Kinderperspektive als Wahrnehmung lediglich suggeriert, ohne sie ihm artifiziell aufzuzwingen. Dies geschieht in den Kurzgeschichten einer Katharine Mansfield ebenso wie in einer Erzählung Thomas Manns, der es in Unordnung und frühes Leid (1925) fertig bringt, sogar frühkindliche erotische Affekte eines kleinen Mädchens vor der verständnisvollen Durchdringung durch seinen Vater zu erhellen und so einen seiner schönsten Texte schreibt, der ganz im Sinne Goethes als Neuigkeit sprich: Novelle daherkommt, die von einer unerhörten Begebenheit spricht. Die Doppelbödigkeit des Erzählens kann auch weniger mimetisch ausfallen, indem der schon oben zitierte Antoine de Saint-Exupéry dem Leser zwei Lesarten anbietet: die des Kindes, das den Kleinen Prinzen als Märchen lesen wird und damit erfüllt und zufrieden ist, während der erwachsene Leser den Text als "die Verwandlung der Welt zum Symbol" (Blattmann et alii: 1978) parabelhaft zu dechiffrieren weiß.

Ist einmal der Übergang zur Adoleszenz in Coming-of-Age-Klassikern wie Jerome D. Salingers Der Fänger im Roggen (1951) vollzogen, werden Erzählriten erwachsener, indem durchaus vor dem Hintergrund eines homodiegetischen Ich-Erzählens die eindimensionale, entzauberte Welt der Erwachsenen, an die sich der junge Mensch assimilieren muss und dies nur bedingt oder gar nicht vermag, persifliert und kritisiert werden. Der Reiz, den eine solche Randperspektive der Jugend auf die Defizite einer Gesellschaft ausübt, ist ein zeitloser; postmoderne Romane wie Als wir träumten (2006) von Clemens Meyer verfolgen dieselbe Strategie, bei Meyer im Kontext der vergessenen ostdeutschen Jugend zum Zeitpunkt der deutsch-deutschen Wende.

Ziel des Seminars soll es sein, die erzähltechnischen und gattungsspezifischen Techniken zu analysieren, die die Zeit vor der Klippe der Pubertät, nämlich die Kindheit, dem Leser offenbaren, um diese Techniken dann der Zeit gegenüberzustellen, wenn das Kind in Salingers Sinne nicht mehr gerettet werden kann und die Klippe zum Erwachsenensein schon genommen und übersprungen hat oder brutal über sie in eine orientierungsferne Leere gefallen ist.

Das Seminar richtet sich an BA-Studierende der Komparatistik (2. – 6. Semester). Die Vorbereitung und Lektüre der mit den Studierenden zu Semesterbeginn abgestimmten Texte sowie die Bereitschaft zur mündlichen, engagierten Beteiligung wird von allen Teilnehmern vorausgesetzt.

Semester: WiSe 2024/25
Selbsteinschreibung (Teilnehmer/in)
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