• Was sind Rituale?



      In dem folgenden Baustein wollen wir das Thema „Rituale“ näher beleuchten. Diesbezüglich wird darauf eingegangen, was Rituale überhaupt sind, und, wieso sie für alle Kinder wichtig sind. Im Anschluss wird besprochen, in welchen Situationen Rituale hilfreich sind, wie man sie einsetzen kann und was man bei ihrer Gestaltung beachten sollte. Zudem schauen wir uns an, wie Rituale entstehen und was in der Interaktion mit den Eltern und dem Kind wichtig ist. Im Anschluss schauen wir uns den „Morgenkreis“ und betrachten, wie dieser gestaltet werden könnten.

      Unter dem Begriff „Ritual“ kann sich jeder etwas vorstellen. Bei genauerer Betrachtung steckt unser Alltag voller kleiner und großer Rituale, die uns häufig nicht einmal bewusst sind. Sei es die Lieblingstasse, aus der man jeden Morgen trinkt, der feste Platz am Tisch, die Brotdose, die man jeden Tag benutzt oder das gemeinsame Osterfest. All diese Rituale sind Bestandteil unseres Alltags und fest in diesem verankert.

      Doch was genau ist ein Ritual und wie erkennt man es als solches? Wie grenzt man ein Ritual von Routinen oder Alltagshandlungen ab? Und wie können wir dieses Wissen gezielt in Brückenprojekten oder der Kita anwenden?


      Arten von Ritualen




        Warum sind Rituale für Kinder wichtig?

        Kinder mit Fluchterfahrung werden im Prozess ihres Ankommens in einem für sie fremden Land aus ihrem vertrauten Alltag gezogen. Dadurch geht vor allem bei diesen Kindern das wichtige Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit verloren. Beides ist jedoch wichtig, um das Wohlbefinden von Kindern zu gewährleisten. Rituale können unterstützend dazu beitragen, Stabilität in den neuen Alltag der Kinder zu bringen. Somit können sie als wichtige Ressource für die Kinder dienen, da diese gezwungen waren alte soziale Netzwerke hinter sich zu lassen und erst noch neue Kontakte aufbauen müssen. Immer wiederkehrende Abläufe geben Kindern Struktur und schenken durch ihre Beständigkeit Geborgenheit und Halt. Weiterhin helfen sie, Übergänge zu gestalten. Der Wechsel von der elterlichen Betreuung in den pädagogischen Alltag ist nicht immer leicht für Kinder. Mit einem Begrüßungsritual kann dieser Übergang erleichtert werden. 


        Regelmäβigkeit kann Kindern, die negative Erfahrungen gemacht haben zudem helfen, Vertrauen wieder zu gewinnen und ein Gefühl von Normalität zu entwickeln. Dies stellt eine wichtige Grundlage für ihre seelische Gesundheit dar. Auch gemeinsame Mahlzeiten können ein Ritual darstellen, in dem eine positive Beziehung zueinander gestärkt werden kann und Gemeinschaft aufgebaut wird. Neu hinzukommende Kinder können somit schneller Anschluss an andere Kinder aus der Gruppe erlangen und Tagesabläufe besser verstehen.


        Je jünger Kinder sind, desto mehr profitieren sie in ihrer Entwicklung von Ritualen. Diese festgelegten Abläufe dienen als Orientierungshilfe in der Unübersichtlichkeit der Welt und im Alltag und reduzieren Komplexität. Kinder können sich besser im neuen, unbekannten Alltag zurechtfinden und sich schneller an den pädagogischen Alltag gewöhnen. Somit helfen Rituale den Kindern dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und verhindern, dass sie von Umwelteinflüssen überfordert werden. Beispielsweise kann man im Kindergarten häufig einen genau festgelegten Tagesablauf finden. Nach kurzer Zeit haben alle Kinder die Rituale gelernt und fühlen sich weitestgehend wohl. Man kann dabei gut beobachten, wie zuvor aufbrausende Kinder ruhiger werden. Rituale legen nämlich, ähnlich wie Regeln, auch gleichzeitig Grenzen fest. Kinder orientieren sich an diesen festgelegten Abläufen und erfahren dadurch eine große Sicherheit.


        Wann sind Rituale hilfreich, wann nicht? Was sollte bei der Gestaltung von Ritualen beachtet werden?


        Rituale können den pädagogischen Alltag mit Kindern auf verschiedene Weisen vereinfachen. Sie können helfen, Routinen leichter zu bewältigen, denn alles, was Struktur und Regelmäßigkeit hat und nach dem gleichen Muster abläuft, akzeptieren und verinnerlichen Kinder leichter. So lassen sich auch Regeln des Zusammenlebens und alltägliche Pflichten ritualisieren. Wie zum Beispiel das Ritual, das Aufräumen nach dem Spielen mit einem Lied oder Spiel zu verbinden. Unliebsame Pflichten werden für Kinder so zu lustigen Eckpunkten des Tages.


        Rituale sollten sich nach dem Kind und seinen Bedürfnissen richten und flexibel gestaltet sein. Als pädagogische Kraft oder Elternteil muss man erkennen, dass Kinder aus manchen Routinen herauswachsen oder bestimmte Rituale nicht mehr dem Alter angemessen sind. Deswegen ist es auch wichtig, den Einsatz des Rituals regelmäßig zu prüfen. Wird es noch akzeptiert? Verstehen die Kinder die Sinnhaftigkeit des Rituals? Wünschen die Kinder sich Veränderungen? Durch kleine Änderungen in der Gestaltung oder der inhaltlichen Ausrichtung kann das Ritual ohne großen Aufwand „aufgefrischt“ werden, ohne dass man es als solches aufgeben muss. Unbeliebte Rituale können so oftmals zu einem akzeptierten, schönen Ritual werden, denn ein Ritual ist dann gut, wenn es die Situation fröhlich und liebevoll macht. Kinder können ihren Alltag mitgestalten, indem sie eigene Rituale in den pädagogischen Alltag einbringen. Somit kann nicht nur interkulturelles Verständnis gefördert, sondern auch dazu beigetragen werden, dass sich die Kinder in der neuen Umgebung geborgen und heimisch fühlen.


        Weiterhin sind Rituale gute Erziehungshelfer. Durch sie kann Kindern spielerisch vermittelt werden, welche Werte im Leben wichtig sind, beispielsweise die Gemeinschaft, Achtsamkeit, Dankbarkeit und Freude. Kinder aus anderen Kulturen können mithilfe von Ritualen spielerisch unbekannte oder für sie eigenartige Traditionen und Werte kennenlernen, sich im Laufe der Zeit an sie gewöhnen und besser verstehen. Beispielsweise können Kinder durch ein Versöhnungsritual lernen, dass es wichtig ist anderen KIndern verzeihen zu können und Entschuldigung zu sagen. Rituale können gerade in Brückenprojekten auch für die Sprachförderung von Kindern genutzt werden. Dies kann beispielsweise erreicht werden, indem Gedichte oder LIeder gemeinsam aufgesagt bzw. gesungen werden. Gerade vor dem gemeinsamen Essen eignen sich Gedichte oder Lieder besonders gut. Somit können die ersten wichtigen deutschen Wörter spielerisch erlernt und in den Alltag als fester Tagespunkt integriert werden.



        Auch in der Gemeinschaft der Kinder untereinander sind Rituale vorteilhaft. Die Gemeinschaftsbildung funktioniert besser, und es gibt weniger Konflikte, wenn manche Dinge immer nach dem gleichen Muster ablaufen. Wenn Kinder zusammentreffen kann es schwierig sein, die Gruppe zusammenzuhalten und unterschiedlichen kulturellen Ansprüchen gerecht zu werden. Hierbei ist es hilfreich Rituale einzusetzen, um die Gruppendynamik zu stärken und Auseinandersetzungen oder Interessenskonflikten vorzubeugen.


        Daneben ist es bedeutsam, den Kindern, neben strukturierenden Etappen, Flexibilität für eigene Bedürfnisse und Rhythmen einzuräumen. Kinder brauchen Zeiträume, in denen sie im Spiel versinken können, im Augenblick verweilen und die Zeit vergessen dürfen. Struktur darf nicht dazu führen, dass die Kinder ständig in ihren Spielen oder Tätigkeiten gestört oder unterbrochen werden. Deswegen ist es wichtig eine Balance zwischen Flexibilität und Struktur zu finden. Eine Möglichkeit dies zu erreichen wäre es, neben ritualisierten Abläufen feste Zeiten in den pädagogischen Alltag einzubringen, in denen die Kinder selbst entscheiden können, was sie spielen wollen (Freispielphase). Prinzipiell ist die Zusammenarbeit mit Kindern in einem ritualisierten Tagesablauf wesentlich einfacher und die Kinder entwickeln sich besser. Studien konnten zeigen, dass es für Familien mit Fluchterfahrung nach ihrer Ankunft im neuen Land besonders wichtig ist, möglichst schnell einen geregelten Tagesablauf zu etablieren, der das Lernen, die Gesundheit und Zufriedenheit der Kinder fördert. 



        Entstehung von Ritualen


        Rituale können ganz unterschiedlich entstehen. So können sie zum einem aus Traditionen übernommen werden, welche aus der eigenen Familie weitergegeben werden und seit Generationen in dieser existieren. Sie können aber auch neu ausgedacht werden. Dabei sollte beachtet werden, dass diese das Zusammenleben schöner und harmonischer machen sollten. Auch Kinder haben viel Freude daran, neue Rituale zu erfinden, was wiederum auch gleichzeitig ihr Selbstbewusstsein fördert und stärkt. Deswegen sollte man Ihnen die Möglichkeit geben, diese mitzugestalten. Genauso entstehen Rituale oft zufällig, aus dem Bedürfnis heraus eine schöne Situation immer wieder zu erleben, und werden dann übernommen. 

        Interaktion mit den Eltern

        Je größer das kulturelle Spektrum ausfällt, desto größer ist auch das Spektrum an individuellen Traditionen und Ritualen, die inm pädagogischen aufeinandertreffen. Durch rechtzeitige Kontaktaufnahme und Austausch mit den Eltern können unnötige Konflikte vermieden werden.  In diesem Zusammenhang spielt es eine große Rolle, einen sogenannten kultursensitiven Blick zu entwickeln und diesen zu schärfen (nähere Informationen bezüglich der Zusammenarbeit mit Eltern im Kontext von Differenz und Vielfalt finden Sie auf die Website der Arbeitsgruppe "inklusive Pädagogik" von Pof. Dr. Tim Albers an der Universität Paderborn). Weithin akzeptierte Rituale in Deutschland, wie beispielsweise Weihnachts- oder Osterrituale, könnten bei den Eltern auf Ablehnung stoßen, oder aber auch Interesse wecken. Es reicht keinesfalls aus, den Eltern mitzuteilen, welche Rituale im pädagogischen Alltag üblich sind, denn auch in den Familien sind Rituale von großer Bedeutung. Jede Familie hat ihre eigenen, individuellen Rituale, die den gemeinsamen Alltag maßgeblich beeinflussen, z.B. Waschrituale oder ein spezielles Geburtstagsritual. Desweswegen ist ein gegenseitiger Austausch von großer Relevanz, in dem die eigenen Rituale einander vorgestellt werden und die Bedeutung dieser verständlich gemacht werden. Die pädagogischen Kräfte sollten auf der einen Seite zeigen, welche Rituale im Laufe des Tages, der Woche, des Monats, des Jahrs, zu Beginn und zur Verabschiedung, sowie in den Übergangsphasen gepflegt werden. Auf der anderen Seite sollten die Eltern miterleben, was geschieht, Zugang zum Austausch mit anderen Eltern über deren Erfahrungen haben und die Gelegenheit besitzen, ihre eigenen Rituale vorzustellen. In einem solchen Prozess des wechselseitigen Kennenlernens und Verstehens kann Nähe entstehen und ein gemeinsamer Rhythmus gefunden werden, in dem sich alle aufgehoben fühlen.

        Interaktion mit den Kindern


        Wie bereits erwähnt bieten Rituale die Chance eine Gemeinschaft zu stiften. In Brückenprojekten, in denen eine hohe Fluktuation vorherrscht, würde es sich anbieten Rituale zu „entwickeln“, die jedes Kind versteht und auch direkt befolgen kann. Nicht jedes Kind ist immer anwesend, weswegen die Rituale relativ offen bzw. frei gestaltet sein sollten. Zudem sollte auf ausreichend Flexibilität geachtet werden. Falls die Gruppe z.B. für ein gemeinsam ritualisiertes Spiel zu groß sein sollte, sollten Aktivitäten vorgezogen werden, an denen alle teilnehmen können.



        Sowohl jüngere, als auch ältere Kinder sollten hinter einem Ritual stehen und sich wohlfühlen. Diesbezüglich ist es wichtig darauf zu achten, dass die Rituale relativ altersunabhängig gestaltet sind. Ein gemeinsames Frühstück beispielsweise können Kinder aller Altersgruppen genießen, während es möglich ist, dass ältere Kinder ungern an einem Sitzkreis teilnehmen. In solchen Fällen sollten alternative Aktivitäten angeboten werden, oder das Ritual überdacht werden. Weiterhin könnten den Kindern vertraute Rituale in den pädagogischen Alltag eingebracht werden. Eine Idee wäre jedes Kind ein Ritual „mitbringen“ und in der Runde vorstellen zu lassen. Gefällt es der Gruppe gut, könnte man dieses einführen. Prinzipiell sollten Rituale Strukturen schaffen, die das Zusammenspiel von individuellem und Gruppen-Rhythmus erleichtern.

        (nähere Informationen zu einem typischen Tagesablauf in der Kita finden Sie auf der Website der Arbeitsgruppe "inklusive Pädagogik" von Prof. Dr. Tim Albers der Universität Paderborn)

        Der Morgenkreis



        Der Morgenkreis ist ein überaus wichtiges Ritual für Kinder. Er dient als Fixpunkt zu Beginn des Vormittags, an dem sich Kinder im Verlauf des restlichen Tages orientieren. Alle Kinder versammeln sich und besprechen mit dem Betreuer Fragen wie "Wer ist heute da?" oder "Was haben wir heute vor?". Es wird gesungen, getanzt, Geschichten werden vorgelesen, Reime erzählt oder anderen Aktivitäten nachgegangen. Der Morgenkreis bietet Möglichkeiten bei den Kindern Sozialkompetenz, Vertrauen, Bewegung und Selbstbewusstsein zu wecken und zu fördern. Auch im Morgenkreis sind Rituale nicht unerheblich, denn immer das gleiche Lied zu singen oder immer das gleiche Spiel zu spielen ist zwar aus Erwachsenenperspektive recht langweilig, jedoch gerade für kleine Kinder förderlich.

        Beispiel für einen Morgenkreis

        • einen guten Morgen wünschen (ggf. Begrüβungslied singen)
        • Kalender besprechen: Wochentag/Wetter/Tageszeit
        • Gemeinsames Singen
        • Besprechung der Aktivitäten am Tag 
        • 1-2 Spiele spielen
        • Abschlusslied singen