1980 veröffentlichte die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Carolyn Merchant im Kontext der zweiten Welle der Frauenbewegung ihr bahnbrechendes Buch The Death of Nature: Women, Ecology, and the Scientific Revolution. Darin argumentiert sie, dass sich das Bild der Natur in Europa um 1600 grundlegend gewandelt habe: An die Stelle einer weiblichen Figur der Mutter Erde, an der Antike orientiert auch als Natura oder Gaia bezeichnet, trat eine mechanizistische Vorstellung der Welt als Maschine. Dies hatte, so Merchant, tiefgreifende Folgen: Galt die Natur in der Vormoderne noch als organisches Wesen, dessen Ganzheit nicht ohne Konsequenzen gestört werden durfte, bewirkte die Maschinenmetapher einen rücksichtslosen Umgang mit der Natur als auszubeutende Ressource.

Während Merchants Buch prägend für ökofeministische Strömungen seit den 1980er Jahren wurde, geriet die Figur der Mutter Erde zum Leitmotiv der Umweltbewegung. Zeitgleich wurde die frühneuzeitliche Figur der Natura – ihre künstlerische Darstellung ebenso wie die mit ihr verbundene Kunsttheorie – einer feministischen Kritik unterzogen: Denn Natura war für das Kunstverständnis der Frühneuzeit von zentraler Bedeutung als schöpferische Kraft, die innerhalb gewisser Grenzen frei und spielerisch gestalten konnte (ludi naturae). Sie stand aber auch für die „natürliche“ Schaffenskraft der Frau, der das vermeintlich überlegene geistige Schöpfertum des Mannes gegenübergestellt wurde. Als materia (von lat. mater = Mutter) stellte die nährende Natura den Stoff bereit, der vom Mann geformt wurde.

Im Seminar schauen wir uns Darstellungen der Natura in Bildern der Frühneuzeit an und untersuchen die mit dem Motiv verbundenen Vorstellungen von Schöpfung, Kreativität und Geschlechterrollen. Dabei werden auch gegenwärtige Verwendungen des Motivs im Kontext des Ökofeminismus im historischen Zusammenhang reflektiert.

Semester: WiSe 2025/26