Das Internationale Staatensystem und die europäische Diplomatie entwickelte sich eher faktisch und aus politischen Aushandlungsprozessen zwischen den italienischen (15. Jh.), dann den europäischen Territorien heraus, denn als Rechtssystem. Die Juridifizierung der zwischenstaatlichen Kontakte blieb immer eine nur partielle, auch in Zeiten der Friedenskongresse und des Völkerrechts im 17. und 18. Jhs. Diplomaten und höfische Beraterstäbe operierten mit vorrechtlichen Konzepten des ´système´, der Staatsräson, des Gleichgewichts der Kräfte, von Mächte-Hierarchien und Vorherrschaft. Auf einer Meso-Ebene war internationaler Verkehr aber auch immer handels(politischer) Verkehr, der oft nach stärker verrechtlichten Formen strebte, da wirtschaftlicher Handel Rechtssicherheit benötigt. Seit den Beginnen des internationalen Systems im 15. Jh. in Europa bis ans Ende des 18. Jhs. verschränkt sich so schon in Europa Handelsrecht, Handelspolitik und Internationale Politik; maritimes Recht, das Recht der Neutralität und ähnliches wird im Mikrobereich vieler Admiralitätsgerichte in Europa zwischen Konfliktparteien aus allen Ländern gesprochen, ohne dass es eine den jeweiligen souveränen Staaten übergeordnete Rechtsinstanz je gegeben hätte. Diese Verstrebung von internationaler Politik, maritimem und Handelsrecht expandiert auch in Übersee: Im gleichen Zug wie die europäischen Seefahrer und Handelskompanien seit dem 15. Jh. (Portugal, Spanien) global ihre Stützpunkte als Faktoreien gründeten, entstanden Rechtsprobleme. Zunächst ging es um die Jurisdiktion über und innerhalb der Gruppe der jeweiligen Portugiesen, Engländer, Niederländer, Franzosen selbst. Zunehmend kamen Rechtsprobleme und -konflikte des Austauschs mit den gastgebenden Herrschern und Völkern von Südostasien bis in den Mittelmeerraum hinzu. Die Wurzeln des europäischen Völkerrechts liegen so in einem Rechtsstreit über die gerechtfertige Schiffsnahme (Prise) eines portugiesischen durch ein niederländisches Schiff in der Meerstraße von Johor (Singapur): Grotius´ Mare liberum entstand als Teil eines Rechtsgutachtens für die Vereenigde Ostindische Compagnie und dem entsprechenden Prozess vor dem Admiralitätsgericht in Amsterdam. Niederländer, Engländer und Franzosen gründeten ein Gerichtssystem in ihren asiatischen Besitzungen mit formalen Prozessformen und Registraturen, gelehrtes Recht wurde ´importiert´ und musste zugleich an ganz andere Kontexte und eine Pluralität anderer Rechtskulturen adaptiert werden. Von einer rigiden kolonialen Überformung von indigenem durch europäisches Recht ist meist nicht auszugehen, bis Ende des 18. Jhs. gibt es verschiedenste Formen der Koexistenz und die europäischen Gerichte wurden auch quasi als ´Dienstleistung´ von Indigenen wahrgenommen. Rechtssicherung fand aber auch im Weg von Privilegien und Vertragsschlüssen statt, deren Aushandlung oft die Grenze zur internationalen Diplomatie in symmetrischen oder asymmetrischen Konstellationen überschritt. Rechtsfälle aus dem Handels- und Schiffahrtsbereich konnten oft zu Skandalen werden, die dazu führten, dass Botschafter und Höfe die Fragen an sich zogen; Außenpolitik, Souveränitätsfragen und Jurisdiktion überlappten sich im 17. und 18. Jh. Je mehr sich die Gerichtshöfe etablierten, etwa die Mayor´s Courts in Bombay, Madras und Calcutta, war aber auch der Abgleich der Rechtsprechung dort mit der im Mutterland bedeutsam, so dass die Frage des Verhältnisses der Unabhängigkeit der Gerichte in Asien versus ihrer Abhängigkeit und Pflicht, das niederländisch-römische, das französische oder das englische Recht, wie es in Den Haag, Paris und London gesprochen wurde, zu beachten, ebenfalls zu einem steten Aushandlungsprozess in Memoiren und Gutachten über die große Distanz hinweg wurde. - Im Hauptseminar wollen wir einerseits Grundlagen legen und wiederholen (Staatensystem, Einführung in frühneuzeitliche Diplomatie, Recht und Gerichte) andererseits konkrete Rechtsfälle aus Europa und Asien als Quellengrundlage nehmen, um ´prismatisch´ und vom Beispiel her die komplexen Verstrebungen zu erfassen.

Semester: WiSe 2025/26