
Das antisemitische Wissen der Literatur
Fr, 10-12 Uhr (GABF 04/411)
Judenfeindschaft hat ihren festen Platz in der europäischen Literaturgeschichte. Von ihren frühesten kanonischen Texten bis weit in das 20. Jahrhundert finden sich nicht nur beiläufige Stereotype des ‘Jüdischen’, negative Judenfiguren haben vielmehr einen zentralen Ort in vielen Archetexten der abendländischen Selbstverständigung. Schon bei Tacitus gelten die ‘Juden’ als Feinde der Völker, das Matthäus-Evangelium zeichnet Israel als verworfenes Volk, spätestens bei Luther wird die Judenfeindschaft mit einem ökonomischen Argument akkommodiert und im Renaissancetheater ist der ‘jüdische Wucherer’ dann voll etabliert. Im 19. Jahrhundert wird das Medium der Literatur zum Aushandlungsort eines bürgerlichen Selbstverständnisses und der ‘Jude’ zu dessen Hauptantagonisten, etwa in Gustav Freytags Soll und Haben (1855) und in Charles Dickens Oliver Twist (1838). Spätestens im 20. Jahrhundert funktioniert die antisemitische Codierung literarischer Texte dann, ohne dass überhaupt ein ‘Jude’ vorkommt.
Im Seminar wollen wir der Frage nachgehen, welche Funktion das judenfeindliche Erzählen, Argumentieren und Dramatisieren im Kontext einer okzidentalen Identitätsbildung erfüllt.
Literatur zur Einführung:
Nirenberg, David: Anti-Judaismus. Eine andere Geschichte des westlichen Denkens, München: C.H.Beck 2015.
Schwanitz, Dietrich: Das Shylock-Syndrom oder die Dramaturgie der Barbarei, Frankfurt a.M.: Eichborn 1997.
- Kursleiter/in: Wilm Lasse Wichert