Mit der in den 1990er Jahren aufkommenden Materialphilologie hat sich zunehmend eine Forschungsrichtung etabliert, die nicht allein den Text im Sinne eines schriftlich fixierten Wortlauts zum Gegenstand der Analyse macht, sondern seine Materialität berücksichtigt. In den Blick gerät damit z.B. das Publikationsmedium und damit verbunden die Frage, welchen Einfluss die medialen Formen Buch, Zeitschrift oder Zeitung auf einen Text und seine Rezeption haben. Gleiches gilt für die typographische Gestaltung eines Textes, die auf den ersten Blick eine Sache der Buchherstellung und des zeitgenössischen Geschmacks ist, in manchen Fällen jedoch darüber hinausgehend intentional im Sinne des Autors oder der Autorin Ästhetik und Semiantik des Textes beeinflusst. Und nicht zuletzt ist zu fragen, in welcher Weise die materielle Buchgestaltung, d.h. das Material des Einbands, das Papier, die Art der Bindung, das Hinzufügen von Beilagen u.a.m., Teil der literarischen Kommunikation sein kann. Es gibt Bücher, denen sich ein Objektcharakter zusprechen lässt, und das nicht nur sekundär, weil ein Buch zum Beispiel einen Einband benötigt, sondern primär in dem Sinn, dass Text und Materialität von vornherein als eine Einheit gedacht sind, „rhythmus r“ von Gerhard Rühm beispielsweise oder „Bild Band“ von Timm Ulrichs.
Neben solcher vom Autor oder der Autorin intentional bedingten Materialität gibt es aber auch Bücher, die verlagsseitig im Auflagendruck oder in der individuell angepassten Produktion materialphilologisch aufschlussreich sind. Dazu gehören zum Beispiel unterschiedliche Konzepte des Faksimilierens, besonders ausgestattete Auflagen von Büchern für die Lektüreversorgung von Soldaten im Krieg oder sogenannte Preisbände, die in Anerkennung herausragender Lernleistungen überreicht werden.
Derartige materialphilologisch relevanten Phänomene sind auch für die Frage interessant, wie sich Literatur museal präsentieren lässt. Literaturausstellungen haben konzeptionell das Problem, dass sich Texte kaum abwechslungsreich präsentieren lassen und daher oft wenig attraktiv wirken. In der angewandten Museumsdidaktik wird daher oft versucht, die Buch-Exponate durch Objekte aus dem Umfeld (von Arbeitsutensilien des Autors bis zu Filmen) zu ergänzen, die museale Präsentation stärker ins Dreidimensionale und Multimediale zu holen und damit attraktiver zu gestalten.
Die Zielsetzung dieses Seminars ist vor diesem Hintergrund eine doppelte: Grundlegend geht es darum, Literatur materialphilologisch zu untersuchen. Darüber hinaus sollen auf dieser Basis Überlegungen angestellt werden, wie sich Literatur auf dieser Basis museumsdidaktisch aufbereiten lässt.
Hinweis: Dieses Seminar versteht sich als Fortsetzung der Arbeit im vergangenen Semester, setzt aber die Teilnahme am Seminar des WS 24/25 nicht voraus. Grundlegende Aspekte werden wiederholt und an anderen Gegenständen exemplifiziert und diskutiert.
Einen Teilnahmenachweis erwirbt man durch aktive Mitarbeit am Seminar und die Anfertigung eines Sitzungsprotokolls.
Leistungsnachweise können durch eine mündliche Prüfung oder eine Hausarbeit erworben werden.
- Kursleiter/in: Joachim Wittkowski