
Was eine ‚Fabel‘ ist, wusste schon der Ulmer Literat Heinrich Steinhöwel. Als er 1476/1477 seine Ausgabe der Fabeln des Äsop publizierte, gab er dem Werk folgende Definition bei: fabeln synt nit geschehene ding, sondern allain mit worten erdichte ding. und sint darum erdacht worden, daz man durch erdichte wort der unvernünftigen tier under in selben ain ynbildung des wesens und sitten der menschlichen würde erkennet. Fabeln erzählen also Geschichten, die nicht real geschehen, sondern mit Worten so erdichtet sind, dass man anhand der Rede von Tieren das Wesen und den Wert des Menschen erkennt. In der Fabel können Wolf und Lamm, Fuchs und Rabe oder Frosch und Maus tatsächlich so handeln und reden, als ob sie Menschen wären. So erklärt sich, dass Fabeln kurze fiktionale Erzählungen sind, die Wissen über den Menschen vermitteln. Im Sinne der jüngeren Human-Animal-Studies zeigen sie daher den Blick des Menschen auf die Welt der Tiere wie umgekehrt auch den Blick der Tiere auf den Menschen. Während die europäische Tradition der Fabel bis in die Antike zurückgeht, setzt sie in der deutschen Literatur des Mittelalters erst seit dem 12. und 13. Jahrhundert ein. Eng verbunden ist diese neue Tradition mit epischen Erzähltexten wie dem ‚Reinhart Fuchs‘, in dem die höfische Adelswelt satirisch dargestellt wird. Eine wirkmächtige Besonderheit ist zudem, dass die Tiererzählungen mit Bildern in verschiedenen Medien illustriert werden. Und auch so entsteht eine literarische Tradition, die sich in immer neuen Formen des Erzählens und Bebilderns als langlebig, wandlungsfähig und lebendig erweist.
Im Seminar werden wir zunächst die Grundlagen für das Verständnis der Tierfabel und des Tierepos anhand ausgewählter Text-Bild-Beispiele erarbeiten. Danach wird es um die Analyse und Interpretation zentraler Fabelsammlungen und tierepischer Dichtungen gehen, wobei einen Schwerpunkt die Frage nach dem Wissen über das Verhältnis von Mensch und Tier bilden soll.
Zur Einführung in das Thema: Almut Suerbaum: Fabel. In: Kleine literarische Formen in Einzeldarstellungen. Stuttgart 2002 (Universal-Bibliothek 2002), S. 89-110; Julia Weitbrecht: Lupus in fabula. Mensch-Wolf-Relationen und die mittelalterliche Tierfabel. In: Tiere im Text. Hrsg. von Hans Jürgen Scheuer und Ulrike Vedder. Bern 2015, S. 23-35. Text-Bild-Materialien und Forschungsliteratur werden in Moodle zur Verfügung gestellt.
TN: Regelmäßige Teilnahme und Mitarbeit an einem Referat mit Vortrag und Arbeitsphase. LN: mündliche Prüfung oder schriftliche Hausarbeit. Sprechstunden: montags 12-13 Uhr.
- Kursleiter/in: Manfred Eikelmann
- Kursleiter/in: Daniel Pachurka