100 Jahre Rundfunk in Deutschland  

Hans Bausch, der Herausgeber einer vierbĂ€ndigen Reihe zum „Rundfunk in Deutschland“, die 1980 bei dtv erschien, bemerkte in dem von ihm selbst geschriebenen letzten Band zur Geschichte der Rundfunkpolitik nach 1945, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den letzten drei Jahrzehnten niemals ernsthaft gefĂ€hrdet gewesen sei“. Bausch wusste, wovon er sprach, war er doch genau dreißig Jahre zuvor in den Dienst des SĂŒdwestrundfunks getreten, bald darauf bei Hans Rothfels in TĂŒbingen mit einem rundfunkhistorischen Thema promoviert worden und seit 1958 Intendant des SĂŒddeutschen Rundfunks. Sein Mandat im Stuttgarter Landtag hatte er fĂŒr dieses Amt, das er dreißig Jahre lang bekleiden sollte, niedergelegt. Die Geschichtsschreibung gab er indessen niemals auf. 15 Jahre lang leitete er die Historische Kommission der ARD, zwischen 1962 und 1972 und dann noch einmal von 1986 bis 1991. Nach ihm wurde ein Preis benannt, den er als Intendant selbst gestiftet hatte, und der vom SĂŒdwestrundfunk und der UniversitĂ€t TĂŒbingen seit 2021 unter der Bezeichnung „Hans Bausch Mediapreis des SWR fĂŒr gesellschaftliche Verantwortung in digitalen Öffentlichkeiten“ verliehen wird. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat nicht nur Geschichte gemacht, er hat auch seine eigene Geschichte geschrieben - als Erfolgsgeschichte. 

Heute ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk ernsthaft gefĂ€hrdet. Die Kritik entzĂŒndete sich am Missmanagement im RBB, an IntendantengehĂ€ltern und der Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Schon lĂ€nger werden eine vermeintlich einseitige gesellschaftspolitisch Ausrichtung, mangelnder Reformwillen und eine lĂŒckenhafte Aufsicht sowie eine Überdehnung seines Funktionsauftrags beklagt. Keiner dieser Kritikpunkte ist allerdings neu, und die Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben auch ihre eigene Geschichte. Neu dagegen ist, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich immer weniger verstĂ€ndlich machen kann und er immer weniger verstanden wird. FĂŒr die jĂŒngere Generation scheint er bereits aus der Zeit gefallen zu sein. Seine Legitimationskrise in einer zersplitternden Öffentlichkeit scheint eher mit einer anhaltenden SchwĂ€che zusammenzuhĂ€ngen und nicht wie frĂŒher mit seiner dominanten Stellung in der deutschen Medienordnung. Einer der besten Kenner der deutschen Rundfunkgeschichte, der den öffentlich-rechtlichen Sendern stets mit Sympathie begegnete, Konrad Dussel, geht noch weiter und hĂ€lt deren strikte Begrenzung auf wenige Radiosender und die dritten TV-Programme der Landesrundfunkanstalten inzwischen fĂŒr das Gebot der Stunde (APuZ 25/2023). Der Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren meint sogar, der gemeinnĂŒtzige Rundfunk habe seine institutionelle Grundlage gĂ€nzlich verloren, weil die digitale Transformation grundsĂ€tzlich anders funktioniere als der industrielle Transformationsprozess, mit dem er einst groß wurde (epd medien, 23.02.2024).  

Ein von der Landesrundfunkkommission der LĂ€nder eingesetzter „Zukunftsrat“ versuchte, Wege aus der Krise aufzuzeigen. Seine ReformvorschlĂ€ge fanden zwar eine beachtliche Aufmerksamkeit, wurden aber selbst von den Auftraggebern nicht ernsthaft weiter verfolgt, weil ihnen an AnschlussfĂ€higkeit zum bestehenden System mangelte. Es war deshalb nicht erstaunlich, wenn ein frĂŒherer Programmdirektor des SFB und Chef einer Landesmedienkommission einen Text unter dem Titel „ZurĂŒck zu den Wurzeln“ als „Vergangenheitsrat“ ausgab, um so zur Transformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beizutragen (epd Medien vom 22.3.2024).   

Eine historische BeschĂ€ftigung mit einer einzigartigen Institution, die die Bundesrepublik ĂŒber Jahrzehnte geprĂ€gt hat und nunmehr in einer veritablen Bestandskrise steckt, scheint schon deswegen dringend geboten, um deren WandlungsfĂ€higkeit und Bestandsaussichten besser einschĂ€tzen zu können. Wir wollen die Strukturprobleme, Richtungsentscheidungen und Optionen der deutschen Medienordnung seit 1923 herausarbeiten. 

Semester: WT 2024/25