Das sogenannte „Goldene Zeitalter“ ist bis heute tief in der kollektiven Erinnerungskultur der Niederlande verankert. Nach der Unabhängigkeit der nördlichen Provinzen der spanischen Niederlande, die mit dem Westfälischen Frieden 1648 offiziell unabhängig wurden, entstand eine Republik, die eine kulturelle Blüte erlebte. Das Seminar wirft einen kritischen Blick auf die Kunst- und Architekturgeschichte des langen 17. Jahrhunderts und untersucht gattungsübergreifend die dynamischen Wechselwirkungen zwischen Architektur, künstlerischer Produktion sowie historischen Kontexten.
Der wirtschaftliche Aufschwung und die politische Selbstverwaltung in den Niederlanden ermöglichten einen Kunstmarkt, der von einer kaufmännischen Elite geprägt wurde und sich zunehmend von den traditionellen Käuferschichten des Adels und Klerus entfernte. Für die Architektur waren die Entstehung veränderter bzw. neuer Bauaufgaben maßgeblich: Rathäuser als Symbole der Unabhängigkeit, Börsen sowie Verwaltungsbauten wurden den Bedürfnissen der wachsenden bürgerlichen Gesellschaft angepasst. Parallel dazu löste sich die Malerei von Historiengemälden und traditionellen Porträts und wandte sich alltäglichen Szenen und bürgerlichen Familien zu. Von wissenschaftlichen Fortschritten beeinflusst, insbesondere durch die Kartographie und Geologie, entwickelte sich die Landschaftsmalerei im europäischen Vergleich als Novum. „Inbegriffbilder“ (Max Imdahl), die Charakteristika der niederländischen Landschaft darstellten, entsprachen nicht nur der alltäglichen Seherfahrung der Individuen, sondern wurden zu einem Resonanzraum menschlicher Empfindung.
Der Begriff des „Goldenen Zeitalters“ wird im Seminar kritisch hinterfragt. Während die niederländische Kaufmanns-Elite eine Phase wirtschaftlichen Wohlstands und kultureller Blüte erlebte, hatte diese Entwicklung für die indigenen Völker in den niederländischen Kolonien verheerende Folgen. Der wirtschaftliche Aufschwung war untrennbar mit dem transatlantischen Sklavenhandel und der Ausbeutung kolonialer Ressourcen verbunden. In den Kolonien waren Stadtplanung und Architektur entscheidend für die effiziente Verwaltung und Kontrolle. Niederländische Malerei mit vermeintlich exotischen Motiven sowie die Ausstellung kolonialer Artefakte wurden einem Publikum in den Metropolen präsentiert.
Insgesamt eröffnet der Grundkurs eine transkulturelle und gattungsübergreifende Diskussion und verdeutlicht die Verknüpfung von historischem Kontext und Kunstproduktion. Damit einhergehend wird die Schlüsselrolle der niederländischen Architektur bei der Verbreitung und Anpassung italienischer Architekturtheorien im nordeuropäischen Raum intensiv beleuchtet. Außerdem werden zwei Sitzungen im Museum unter Tage stattfinden, wo sich eine große Auswahl von Gemälden Alter Meister aus den Niederlanden befindet.
- Kursleiter/in: Maximilian Fischer
- Kursleiter/in: Leoni Reiber