Der Begriff Historiographie deutet es an: In diesem Grundkurs geht es um das Schreiben von Geschichte. Allerdings wird nicht «die» Geschichte der Theaterwissenschaft und Performance-Studies behandelt, im Fokus steht vielmehr die Frage nach dem Verhältnis von Theater, Performance und Geschichtsschreibung. Das heißt, wir werden das historiographische Schreiben über Theater und Performance als kulturelle Praxis der Repräsentation untersuchen. Dabei begleiten uns folgende Fragen: Wie entsteht eigentlich Wissen über Theater und Performance? Mit welchen Quellen und Methoden kann über Theater und Performance geschrieben werden? Wie werden Zusammenhänge und Bedeutungen im Schreiben hergestellt? Wie prägen Theorien unser Verständnis von Zeit und Raum, aber auch von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Und wie wird Historiographie selbst performativ geschrieben?
Die Historiographie hat den Anspruch, Vergangenes mit einem Tatsächlichkeitsanspruch darzustellen und diese sprachlich zu vermitteln. Da Geschichte aber nicht per se existiert, sondern erst durch das Sammeln von Spuren, das Sondieren von Fakten, Herstellen von Zusammenhängen und schlussendlich durch eine bestimmte Erzähl- und Darstellungsweise hervorgebracht wird, bildet die Geschichtsschreibung nur eine Auswahl und damit auch eine Rahmung des Vergangenen ab. Im Grundkurs werden wir uns deshalb auch mit der Frage beschäftigen, was uns entgeht.
Im Mittelhochdeutschen bezeichnete Entgangenheit einen Zustand der Entrückung und der Ekstase, also einen Zustand des In-Gedanken-versunken-Seins und des Rausches. Wie gehen wir mit Ereignissen und Situationen um, die in Worten schwer beschreibbar oder nur unvollständig dokumentierbar sind? Welchen Geschichten begegnen wir, wenn wir uns mit Gesten, Körperhaltungen, Objekten und Geräuschen beschäftigen? Was entdecken wir, wenn wir uns auf Nebensächliches und Unbedeutsames konzentrieren? Und wie gehen wir mit dem eigenen Nicht-Wissen bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Theater und Performances um?
- Kursleiter/in: Sandra Nathalie Biberstein