Der Balkon ist buchstäblich ein herausragendes architektonisches Element der Fassade, welches das Gebäude über das sonst nicht genutzte Areal oberhalb der Straße in den Außenraum ausdehnt. An der Nahtstelle zwischen Innen und Außen gelegen, fungiert er sowohl als Grenzort als auch als Übergangszone zwischen dem privaten und öffentlichen Raum. Obwohl der Balkon eine bauliche Urform darstellt, die weltweit in den unterschiedlichsten Kulturkreisen beheimatet ist, hat die kunsthistorische Forschung bislang den sozialen Funktionen von Balkonen nur begrenzte Aufmerksamkeit gewidmet und konzentriert sich überwiegend auf deren diachrone Entwicklung, vom Ursprung bis zur heutigen Gestalt. Insbesondere in der Frühen Neuzeit, einer Epoche tiefgreifender gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Veränderungen, kommt dem Balkon eine besondere Bedeutung zu, da er einen zentralen Ort darstellt, an dem sich die neuen Vorstellungen von Privatheit und Öffentlichkeit manifestieren. Die architektonische Gestaltung und räumliche Anordnung von Balkonen an öffentlichen Plätzen oder Straßen sowie die performative Nutzung spiegeln die sozialen Hierarchien und Machtverhältnisse der Epoche wider. Balkone sind jedoch nicht bloß Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen, sondern greifen aktiv in die Gestaltung des städtischen Raums ein und können daher auch als Mittel zur Kontrolle des öffentlichen Raums verstanden werden. Sie etablierten die Präsenz der Bauherren im städtischen Raum und dienten der Legitimation und Festigung ihrer sozialen Stellung.
Im Seminar werden wir frühneuzeitliche Balkone in verschiedenen europäischen Städten untersuchen, um ihre Funktion als Orte sozialer Interaktion und Kommunikation sowie als zentrale Schauplätze gesellschaftlicher Macht zu erörtern. Voraussetzung für die Vergabe von Kreditpunkten ist eine regelmäßige aktive Teilnahme am Seminar, die Beteiligung an Diskussionen sowie die Übernahme eines Referats.
- Kursleiter/in: Stella Köhn