Seit über einem Jahrzehnt wird in Debatten um die Szenischen Künste die Frage gestellt: Wer repräsentiert wen? Oder eben in verschiedenen Nuancen: Wer spricht im Namen von wem? Wer trägt wessen Merkmale und Geschichten auf sich? Dabei sind vor dem historischen Hintergrund moderner Ausschlüsse verschiedene Taktiken im Kampf für Gleichstellung zu erkennen, so etwa in feministischen und anti-rassistischen Ansätzen. Aber nicht nur das: Die Formulierung impliziert auch weiter gefasste erkenntnis-theoretische, ästhetische und politisch-theoretische Annahmen. Diese können z.B. moderne Konzepte von Person/Individuum oder der repräsentativen Demokratie sein. Doch kann etwas oder jemand ohne Verflechtung mit anderen Objekten/Subjekten überhaupt dargestellt werden? Kann jemand nur sich selbst vertreten? Und was soll aus diesem Überschuss an Repräsentation angesichts asymmetrischer, transnationaler bzw. -kultureller Machtverhältnisse gemacht werden?

In diesem Seminar soll es deshalb darum gehen, gemeinsam exemplarische Texte der Philosophie, Geistes- und Kulturwissenschaften sowie ausgewählte zeitgenössischen Inszenierungen auf die Frage der Repräsentation hin zu durchstöbern. Wir wollen so die jeweiligen Verflechtungen zwischen Vorstellung, Darstellung und Stellvertretung herausarbeiten und miteinander abgleichen. Denn in der Repräsentation liegt die Gefahr, bestehende Machtgefüge weiter einzuschreiben, aber auch das große emanzipatorische Potential von Theater, Tanz und Szenischer Künste überhaupt, nämlich: Das in jeder Situation noch nicht Vorhandene greifbar zu machen.

Das Seminar versteht sich also nicht als systematische Untersuchung eines vermeintlich einheitlichen Phänomens der ‚Repräsentation‘. Vielmehr handelt es sich um ein Lektüreseminar, in dem wir uns ins Dickicht von verschieden historisierten und situierten Ansätzen begeben. Anhand von Textauszügen werden wir uns mit verschiedenen Disziplinen beschäftigen. Damit zielt das Seminar darauf ab, ein Verständnis für die Vielschichtigkeit des Themas, wer wen repräsentiert, sowie eine Vielzahl strategischer Ansätze samt Berührungs- und Reibungspunkten, Widersprüchen und Überschneidungen zu vermitteln.

Semester: WiSe 2024/25