„Nascentes morimur“ (schon wenn wir geboren werden, sterben wir) und „Nosce te ipsum“ (erkenne dich selbst) mahnen die fahnenschwingenden Skelette, die der Kupferstecher Willem Swanenburg 1610 in einer Darstellung des anatomischen Theaters von Leiden auftreten lässt. Das lebhaft diskutierende Publikum wird mit zwei elementaren Sichtweisen auf den Körper konfrontiert: einer physischen und einer moralischen. Während der Leichnam zum Gegenstand anatomischer Forschung wird, erinnern als Adam und Eva stilisierte Skelette an den Sündenfall und somit die vermeintliche Ursache von Tod und Vergänglichkeit. War das Selbst im Mittelalter als „psycho-somatische Einheit“ verstanden worden, so propagierten protestantische Reformatoren eine Unterscheidung von Leib und Seele. Im Seminar werden wir uns damit beschäftigen, welche Auswirkungen ein sich veränderndes Körperverständnis im 16. und 17. Jahrhundert auf die bildende Kunst beider Niederlande hatte. Anhand von Grabmälern, Stillleben aber auch medizinischen Darstellungen wollen wir der Frage nachgehen: Mit welchen künstlerischen Mitteln und mit welchen Zielen wurden Tod und Vergänglichkeit in den Niederlanden (neu) verhandelt? Wie trugen Räume, Skulpturen und Bilder dazu bei, den Einzelnen auf den Tod vorzubereiten und wie repräsentierten bzw. festigten sie zugleich soziale und gesellschaftliche Ordnung?

In der ersten Seminarhälfte werden die gestalterischen Mittel und historischen Kontexte konkreter Gegenstände analysiert und mithilfe ideengeschichtlicher Texte auf das zugrundeliegende Körperverständnis hin befragt. Im Rahmen einer zweitägigen Exkursion nach Amsterdam besichtigen wir anschließend das anatomische Theater der Chirurgengilde sowie ausgewählte Werke im Rijksmuseum.

Semester: WT 2024/25