Auch wenn man meinen könnte, bereits alles über das Reenactment zu wissen, widmet sich das Seminar erneut den Praktiken der Wiederholung, die in den letzten 20 Jahren im künstlerischen Bereich eine enorme Konjunktur erfahren haben. Das Interesse an Formen der performativen Wiederholung, der mehrfach vermittelten Verkörperung von Geschichte oder einfach des Wieder-In-Kraft-Setzens scheint sowohl in der Praxis als auch in der Theorie ungebrochen. Versteht man Reenactments als mediale Praktiken des Wiederaufführens, Nacherlebens und Reaktualisierens und nicht nur als »einfache« Wiederholungen von Ereignissen, ermöglichen sie eine Reflexion über die neuen ästhetischen Formen, die sich aus der Aneignung von dokumentierten oder fiktionalisierten, erlebten oder erdachten Vergangenheit ergeben. In der Auseinandersetzung mit Strategien des Reenactments sollen im Seminar zum einen verschiedene mediale Möglichkeiten reflektiert werden, das Ephemere und bereits Geschehene performativ zu rekonstruieren und somit die Singularität und Unwiederholbarkeit des Ereignisses in Frage zu stellen. Zum anderen soll eine besondere Fähigkeit des Körpers zur wiederholten Aktualisierung des Vergangenen sowie zur Manifestation von Zukunftsutopien untersucht werden.


Ausgehend vom öffentlichen Raum, wo historische Ereignisse nachgestellt werden, von Museum und Theater als den institutionellen Räumen, in denen künstlerische Reenactments stattfinden, und von Archiv, wo die zu aktualisierenden Dokumente gesammelt und selektiert werden, richtet sich das Interesse auf die weniger normierten Orte der Wiederholung. Dabei werden die Körper betrachtet, durch die Erfahrungen rekonstruiert werden, die Dinge, die nach dem Ereignis als einzige Beweise übrig bleiben, die Räume, die oft energetischen Spuren aufweisen, und die Landschaften, die mit traumatischen Überresten aufgeladen sind. Die verschiedenen Formen und Funktionen von Raum-Reinszenierungen werden anhand von zeitgenössischen (bekannten und weniger bekannten) Video-, Theater-, Tanz- und Performancebeispielen untersucht. Im Seminar werden verschiedene Werke diskutiert, darunter Joshua Oppenheimers „The Act of Killing“, Dread Scotts „Slave Rebellion Reenactment“, Gob Squads „Kitchen“, Katarzyna Kozyras „Frühlingsopfer“, Artur Żmijewskis „Wiederholung“, sowie Wu Tsangs „Wildness“. Dabei werden Reenactment-Theorien, Psychoanalyse, Kulturanthropologie sowie performative Archivkonzepte als theoretischer Ansatz herangezogen.

Inhaltswarnung:

In diesem Seminar werden wir uns mit sehr sensiblen Inhalten wie Gewalt, Verletzung, Tod, Trauma auseinandersetzen. Ich möchte Sie daher bitten, sich darauf vorzubereiten, dass Sie in den einzelnen Sitzungen mit diesen Themen sowohl auf textlicher als auch auf visueller Ebene konfrontiert werden. Ein bewusster Umgang mit potentiell belastenden Lehrinhalten ermöglicht uns allen eine emotionale Distanzierung und damit ein konzentriertes wissenschaftliches Arbeiten. Sollten die besprochenen Inhalte Ihre emotionalen Grenzen überschreiten, haben Sie jederzeit das Recht, die Sitzung zu verlassen. 


Semester: SoSe 2024