Das Phänomen, dass innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft zu jeder Zeit ein spezifisches Weltbild vorherrscht, das nur bestimmte Tatsachen denk- und erkennbar werden lässt, erklärte der Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck 1935 mit dem Konzept des „Denkstils“. Demnach entsteht Wirklichkeit dadurch, dass zu jeder Zeit nur jene Aspekte und Muster der Welt wahrgenommen, gedacht und kommuniziert werden, die dem vorherrschenden Denkstil entsprechen. Mit dem Konzept des „Stils“ wandte Fleck einen Begriff aus der Kunstgeschichte auf die Naturwissenschaft an. Dabei zeigte er auf, dass Stile nicht nur das jeweils zeitspezifische Denken innerhalb einer Forschungsgemeinschaft prägen, sondern auch die Bilder, die von den beteiligten Wissenschaftler:innen erzeugt werden.

Am Beispiel der Medizingeschichte schaut das Seminar auf die in diesem Feld in unterschiedlichen Epochen – von der Frühneuzeit bis zur Gegenwart – entstandenen Visualisierungen. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern diese Bilder und Modelle zeitspezifische Stile erkennen lassen: Inwiefern hängt dieser Stilwandel sowohl mit Techniken der Visualisierung und Modellierung zusammen als auch mit den Akteur:innen der Forschung und ihren wissenschaftlichen Konzepten, ideologischen Vorannahmen oder stilistischen Prägungen? Anhand von medizinischen Bildern, Präparaten und Modellen soll so eine „Kunstgeschichte der Naturwissenschaft“ beispielhaft nachgezeichnet werden.

Das Seminar findet wöchentlich in der Medizinhistorischen Sammlung der RUB statt, um vor Ort mit den Sammlungsobjekten zu arbeiten. Auch eine Exkursion an die Präparatorenschule des Walter-Gropius-Berufskollegs ist vorgesehen. Im Rahmen der Lehrveranstaltung soll als Seminararbeit ein Audiorundgang durch die Dauerausstellung entstehen sowie eine Ausstellungseinheit zum Thema der Rassenhygiene und der rassenhygienischen Propaganda in der NS-Zeit. Hierfür werden Seminarteilnehmer:innen Objekte auswählen und erläuternde Texte verfassen.


Semester: ST 2024