Die friedliche Beilegung einer causa in controversia durch diplomatische Mittel ist ein Topos der europäischen Literatur, der dem bereits in der Odyssee angelegten Motiv der Gastfreundschaft folgt. Literatur über die Beseitigung von Streitigkeiten zwischen konkurrierenden Ordnungssystemen durch Verhandlung wurde insbesondere in der frühen Neuzeit, aber auch in darauffolgenden Epochen intensiv rezipiert. Die moderne Diplomatie hat ihren Ursprung in der Renaissance. Die Fürsten italienischer Stadtstaaten suchten ein Mittel zur Kriegsvermeidung und einigten sich auf die Entsendung permanenter Botschafter, um eine Kultur des Austauschs und Handelns zu befördern.

Im Übergang von der Renaissance zur frühen Neuzeit ist es insbesondere Shakespeare, der in vielen seiner Stücke vertragspolitischen Inhalten große Aufmerksamkeit schenkt. Dies geschieht sowohl durch die Demonstration eines Bewusstseins für den geschichtlichen Ort seiner Zeit, indem sittliche Codes rhetorisch markiert und damit lesbar gemacht werden, als auch durch die forensische Beredsamkeit und Verwendung juristischer Themen und Strukturen in Gerichtsprozessreden.

Im Seminar wollen wir uns mit Literatur beschäftigen, die Diplomatie und Verhandlung darstellt und thematisiert, u.a. Baldassare Castiglione: Il Libro del Cortegiano (1508-1516/1528), Niccoló Machiavelli: Il Principe (1513), William Shakespeare: As you like it (1599). Komplementär dazu werden wir die Frage diskutieren, ob Literatur selbst, vor dem Hintergrund der Literaturtheorie des New Historicism, als diplomatischer Agent im Netzwerk kulturpoetischer Betrachtungen angesehen werden kann und somit Aushandlungskultur generiert. Hierzu werden wir theoretische Texte lesen, u.a. Garrett Mattingly: Renaissance Diplomacy (1955), Stephen Greenblatt: Shakespearean Negotiations: The Circulation of Social Energy in Renaissance England (1989), Astrid Erll/Simone Roggendorf: Kulturgeschichtliche Narratologie. Die Historisierung und Kontextualisierung kultureller Narrative (2002).

Semester: WiSe 2023/24