Trauern ist eine gemeinschaftliche Praxis, die in einer Vielzahl von Kulturen verankert ist. Als kulturelle Aktivität kann sie als Aufführung betrachtet werden, die für ein Publikum inszeniert wird. Bestattungsrituale brauchen wie das Theater eine choreografierte Handlung. Professionelle Klagende handeln im Auftrag und im Namen einer anderen Person. In der Regel ist das Trauern eine Reaktion auf einen Verlust eines geliebten Menschen. Zu trauern kann aber auch ein Antworten auf Gewalterfahrungen, Diskriminierung, Unterdrückung, Vertreibung oder Zerstörung sein. Die Trauer über einen unwiederbringlichen Verlust, über die Unmöglichkeit der Wiederherstellung dessen, was verloren ist, schafft zudem einen anderen Zugang zu Fragen der Erinnerung: Gerade Szenen der Trauer, insbesondere die öffentlichen Affekte der Trauer, bezeugen, dass beispielweise ein Mensch in Beziehung zu anderen stand. Sie verweisen darauf, dass dieser Mensch gelebt hat, dass sein Leben von Bedeutung war und um ihn getrauert werden kann. Als Praxis der Verbundenheit und des gegenseitigen Beistands kann sich das Trauern in unterschiedlichsten Formen von Gemeinschaftlichkeit artikulieren – auch in Formen des Widerstands und des Protestes.
Ziel des Seminars ist es, Praktiken des Trauerns, Szenen der Trauer und Trauerrituale auf die Frage hin zu untersuchen, wie Trauer dargestellt wird, wie sie ausgelebt bzw. wie andere sie für jemanden in der Öffentlichkeit ausleben. Im Seminar soll aber auch untersucht werden, wie sich Aktivist*innen, Künstler*innen und insbesondere Theaterschaffende mit dem Verlust beschäftigen, wie dieser Verlust performt wird, welche Fragen der Erinnerung, der Gerechtigkeit und der Verantwortung Praktiken des Trauerns gegenüber anderen aufwerfen und welches politische Potential sich in solchen Praktiken birgt.
Semester: WiSe 2023/24