Im  ersten  Drittel  des  15.  Jahrhunderts  entstand  eine  neuartige  Architektur,  die  sich  mit  Hilfe  der  antiken Säulenordnungen  aus  einzelnen  Gliedern  definierte  und  bald  sämtliche Baugattungen  erfasste.  Diese  rational erscheinende  Struktur,  die  sich  aus  der  Antike  ableitete  (diese  jedoch  zugleich  vor  dem  Hintergrund mittelalterlicher  Traditionen  interpretierte),  bildete  sich  in  Italien  vor  dem  sozialen  Hintergrund  einer  neuen Schicht  von  Auftraggebern,  die  sich  oft  als  gebildete  Humanisten  urbaner  Gesellschaften  verstanden.  Für  die Verbreitung der neuen Bauweise war insbesondere die Kunstliteratur wichtig: Das Wissen über Architektur blieb nicht  mehr  auf  Bauhütten  beschränkt,  sondern stand in Traktaten jenen zur Verfügung, die „wissen“ wollten. Architektur in geschriebener Form trat so in klare Analogie zu den bildnerischen Gattungen und trug dazu bei, das Modell von ‚Epoche’ zu etablieren, welches die westliche Kunstgeschichtsschreibung bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte.

Die Vorlesung verfolgt anhand ausgewählter Beispiele, wie sich diese Architektursprache zu Beginn der Neuzeit durchsetzen  konnte.  Zugleich  wird  gefragt,  wie  die  Kunstwissenschaft  gerade  kanonisch  gewordene  Bauten beschrieb und analysierte. Wie kamen neue Objekte in ihr Blickfeld?Dabei wird etwa am Beispiel des Kuppelbaus oder  der  sogenannten  Weserrenaissance  deutlich,  dass  sich  die  älteren  Modelle  der  Forschung  über  eine Rezeption  der  Renaissance-Architektur  inzwischen  verschoben  haben.  Hier  zeigen  sich  Wechselbeziehungen oder neue, hybride Formen der Renaissance-Architektur, mit denen sich künftige Forschungsfelder abzeichnen.Einführende

Literatur:
Borggrefe, Heiner: „Weserrenaissance“ im Kontext der frühneuzeitlichen Hofkultur Europas, in: Jöchner, Cornelia; Gierling, Jasmin; Pustkowski, Christina (Hg.), GA 2. Kunstgeschichtliches Journal für Studentische Forschung und Kritik, 8 (01),7–25. Abgerufen von https://ojs.ub.rub.de/index.php/GA2/article/view/10013
Frommel, Christoph Luitpold: Die Architektur der Renaissance in Italien, München 2009.
Günther, Hubertus: Was ist Renaissance? Eine Charakteristik der Architektur zu Beginn der Neuzeit, Darmstadt 2009.
Heydenreich, Ludwig H.; Lotz, Wolfgang: Architecture in Italy 1400 to 1600, Harmondsworth 1974 (Pelican History of Art)Hubala, Erich: Renaissance und Barock, hg. von Harald Busch, Frankfurt am Main 1968.
Hoppe, Stephan; Nußbaum, Norbert; Müller, Matthias (Hg.): Stil als Bedeutung in der nordalpinen Renaissance. Wiederentdeckung einer methodischen Nachbarschaft, Regensburg 2008.
Necipoğlu, Gülru: Architectural Dialogues across the Eastern Mediterranean. Monumental Domed Sanctuaries in the Ottoman Empire and Renaissance Italy, in: Payne, Alina (Hg.): Renaissance and Baroque Architecture, Chichester (UK) 2017, S. 594-623.
Payne, Alina: The Thin White Line. Palladio, White Cities and the Adriatic Imagination, in: Dies. (Hg.), Dalmatia and the Mediterranean. Portable Archeology and the Poetics of Influence, Leiden/Boston 2014, S. 145-182.
Payne, Alina (Hg.): Renaissance and Baroque Architecture (The Companions to the History of Architecture, I), Chichester (UK) 2017.
Semester: WT 2023/24