Das Gespenst gehört zum klassischen Inventar fantastischer und volkstümlicher Erzählungen, spukt aber keineswegs nur durch Kunst und Brauchtum, sondern sucht von jeher auch die Wissenschaft heim – etwa im Versuch, dem Geisterglauben und daran anknüpfenden Phänomenen wie dem Spiritismus mit Vernunft beizukommen, aber auch im theoretischen Zugriff auf neue technische Medien wie die Photographie oder den Film. Die kulturelle und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Spukhaften reicht von Verhandlungen über seinen Realitätsstatus bis hin zu seiner ästhetischen Operationalisierung als Metapher für Begegnungen mit dem Anderen.

Jenseits dieser vielfältigen Erscheinungsformen etabliert sich das Gespenst – und mit ihm der Begriff der Heimsuchung – Ende des 20. Jahrhunderts aber auch als einflussreiches kulturwissenschaftliches Konzept. Als Figur der Wiederholung erscheint das Gespenst in postmodernem Gewand, untergräbt durch seine Unabgeschlossenheit epistemische Gewissheiten und schwebt zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Leben und Tod, Materialität und Immaterialität. Inwiefern ist aber auch unsere eigene Gegenwart gespenstisch? Welches Wissen vermitteln uns die Gespenster? Und wieso brauchen wir sie?

„Lernen, mit den Gespenstern zu leben“ – dieses Diktum Jacques Derridas ruft auf zur offenen Auseinandersetzung mit allem, dem in der Gegenwart kein Platz eingeräumt wird und das die Lebenden gerade deshalb heimsucht. Im Seminar werden wir darum das Gespenst auf seine medialen, kulturellen und diskursiven Verfasstheiten hin untersuchen sowie verschiedene Räume der Heimsuchung in den Blick nehmen. Zunächst wird es um Genealogien, Schlüsselbegriffe und theoretische Konzepte des Gespenstischen und der Heimsuchung gehen (Hauntologie, Lost Future, Spectral Turn u.a.), um in einem nächsten Schritt die Geisterjagd zu eröffnen und verschiedene historische, politische, kulturelle, topographische und mediale Räume der Heimsuchung zu untersuchen. Formen, Funktionen und Wirkungsweisen des Gespenstischen sollen dabei ebenso analysiert werden wie die ephemeren Bedeutungsebenen. Teilnehmende sind herzlich dazu eingeladen, sich mit eigenen Ideen in die Gestaltung des Seminarplans einzubringen.

Semester: SoSe 2024