Bei der Rezeption literarischer Werke ist das Übersetzen oder Bearbeiten eines Textes in eine andere Sprache stets ein Transferprozess, der zwischen verschiedenen Kulturen oder auch Epochen vermittelt. Im Mittelalter kann ein Text so etwa aus der Gelehrtenwelt in die Kultur der Laien übertragen werden; möglich ist daneben der Transfer von einer Volkssprache in eine andere, so wie dies seit der Hälfte des 12. Jahrhunderts zu beobachten ist, als die höfische Literatur aus Frankreich in den deutschen Sprach- und Literaturraum neu eingeführt wird. Wie sich zeigt, müssen in der literarischen Rezeption, seien es Übersetzungen, seien es freie Bearbeitungen, mehr oder weniger große kulturelle Differenzen überbrückt werden.

Ausgehend von dieser Überlegung wird es im Seminar um die mittelalterliche Rezeption eines der berühmtesten Werke der antiken Literatur gehen: Vergils Aeneis, die von Eneas erzählt, der auf Befehl der Götter aus dem brennenden Troja flieht und schließlich in Italien das neue Troja gründet. In der deutschen Literatur ist die enorme Wirkung der Aeneis zum einen an Heinrichs von Veldeke Eneasroman beobachten, mit dem – um 1170/80 – Vergils Erzählung in den Kontext der höfischen Literatur in deutscher Sprache gelangt; und zum anderen ist es die 1515 als Druck publizierte Versübersetzung des Humanisten Thomas Murner, der sein Werk dem deutschen Kaiser Maximilian I. widmet. Mit beiden Werken werden wir uns im Seminar intensiv beschäftigen, wobei neben der Frage, wie Veldeke und Murner den Text der Aeneis übertragen, gerade die unterschiedlichen kulturellen Kontexte der Vergil-Rezeption im Zentrum stehen sollen. Da sowohl der Eneasroman als auch Murners Aeneis illustriert worden sind, bietet sich zudem die Gelegenheit, das Verhältnis von Text und Bild in die gemeinsame Arbeit einzubeziehen.

Textgrundlage: Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Übersetzt von Dieter Kartschoke. Stuttgart 2006. (Universal-Bibliothek Nr. 8303). Texte und ausgewählte Forschungsliteratur werden den Teilnehmern/innen zur Verfügung gestellt. Zur Einführung: Elisabeth Lienert: Deutsche Antikenromane des Mittelalters. Berlin 2001, S. 72-102; Julia Frick: Thomas Murners ‚Aeneis‘-Übersetzung (1515). Wiesbaden 2019, S. 1-10.

CP-Erwerb: TN: Teilnahme, schriftliche Aufgaben und Mitarbeit an der Präsentation eines Referats. LN: zusätzlich mündliche Prüfung (B.A. 15‘, M.A. 30‘) oder schriftliche Hausarbeit (B.A. 12-14 Seiten, M.A. 18-20 Seiten). Kommunikation: Eine ausführliche Beschreibung der Veranstaltung mit Informationen zur moodle-Plattform, zu schriftlichen Aufgaben, zu den Online-Referaten sowie zu mündlichen Prüfungen und schriftlichen Arbeiten stelle ich gleich zu Vorlesungsbeginn bereit. Sprechstunden: donnerstags 12-14 Uhr (via Zoom).
Semester: ST 2024