Kurzerzählungen sind eine höchst produktive und variantenreiche Form narrativer Texte im Mittelalter. In ihnen partizipiert das Erzählen an Plots, Stoffen und Motiven der Weltliteratur, die noch bis in die Neuzeit und Moderne lebendig sind (z.B. die drei Wünsche, das gegessene Herz, der Widerspenstigen Zähmung). Aus diesem Stoff- und Motivarsenal gewinnen die Kurznarrative ihre immer wieder neu erzählten Themen und Sujets: List, Betrug und Gewalt im menschlichen Zusammenleben, vor allem aber das Mit- und Gegeneinander von Frauen und Männern in der Ehe sowie die emotionale Macht der passionierten Liebe, die sich gegen alle Widerstände und noch über den Tod hinaus behauptet. Nicht zu Unrecht hat man diese kurzen Narrative, die in der Forschung als ‚Mären‘ bezeichnet werden, mit der Novelle der Neuzeit verglichen, wie sie Giovanni Boccaccio in seinem ‚Decameron‘ (1349-1353) geschaffen hat. Doch schon in den mittelhochdeutschen Texten profiliert sich dieses Erzählen von Ehe und Liebe als experimentelle Literatur mit variablen Themen und Erzählformen.
Im Seminar werden wir zunächst an Beispielen die text-, stoff- und gattungsgeschichtlichen Grundlagen des Themas erarbeiten. Danach soll es in exemplarischen Analysen um das Erzählen von ehelichen Konflikten und passionierter Liebe gehen, darum auch, mit welchen narrativen Mitteln und Strategien die Texte arbeiten. Schließlich wird die Entwicklung der Kurzerzählung vom 13. Jahrhundert bis zu den mit provokanten Tabubüchen erzählten Texten des späten Mittelalters zu betrachten sein. Das Seminar soll damit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das literaturwissenschaftliche Rüstzeug für die Analyse und Interpretation von Erzähltexten vermitteln.
- Kursleiter/in: Simon Aschemeier
- Kursleiter/in: Juliane Bienert
- Kursleiter/in: Quirin Demmler
- Kursleiter/in: Manfred Eikelmann
- Kursleiter/in: Daniel Pachurka