Die offensichtlichste Verbindung zwischen Hannah Arendt und dem Theater ist ihre Theorie der praxis, des politischen Handelns, die sie mit Bezug auf Aristoteles’ „Nikomachische Ethik“ in einer Engfu¨hrung von Politik und performativen Ku¨nsten entwickelt: Wie ku¨nstlerisches Vollziehen bedu¨rfe die politische Handlung der Anwesenheit anderer und erlange eine Wirklichkeit nur im vielza¨hligen Vernommen- und Weitergegebenwerden. Von der arete, dem Wert des Handelns, finde sich in der Neuzeit am ehesten ein Echo im Kriterium der Virtuosita¨t. Eine zweite Verbindung stellt Arendt in ihrem Spa¨twerk her, wo sie an Kants Konzept des a¨sthetischen Geschmacksurteils anknu¨pft und dieses politisch interpretiert als Medium eines ‚sensus communis’ zwischen Menschen, die nichts gemeinsam haben als die Fa¨higkeit, sich imaginierend in die Position von anderen zu versetzen und ihre abweichenden Urteile nachzuvollziehen. Neben Abschnitten aus „Vita activa“ und dem unvollendeten Buch zum Urteilen zu diesen beiden Argumentationen wollen wir im Seminar eine Reihe von Aufsa¨tzen Arendts lesen, die Moment des Theatralen oder Performativen an der Schwelle von Politik und Kunst beru¨hren – u.a. „Die ungarische Revolution und der totalita¨re Imperialismus“, „Macht und Gewalt“ sowie ihre Preisrede u¨ber Lessing. Schließlich soll uns die Frage bescha¨ftigen, welche Kunst – jenseits der von ihr selbst wahrgenommenen und kommentierten – Arendts Denken auf erhellende Weise entspricht. Im Spiegel von Arendts Popularita¨t in kunstpolitischen Diskursen der Gegenwart und ju¨ngeren Vergangenheit wa¨re etwa zu u¨berlegen, inwiefern Fluxus, Happening und die fru¨here Performance Art, der Postmodern Dance der Judson-Gruppe oder der ‚Diskurstanz‘ der 1990er Jahre dem Arendtschen Praxis-Konzept korrespondieren bzw. es in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Semester: SoSe 2024