Das Konzept des Tragischen ist genealogisch eng verbunden mit dem Schicksal antiker Figuren wie Antigone, Ödipus oder Elektra und damit mit den Anfängen des europäischen Theaters. Einigkeit darüber, was unter einer Tragödie zu verstehen sei, herrscht indes auch zweieinhalbtausend Jahre später nicht – der inflationäre Gebrauch des Begriffs verlockt vielmehr dazu, ihn selbst „einer gründlichen semantischen Katharsis zu unterziehen“ (Ellrich). In den vergangenen Jahren gab es – gerade im deutschsprachigen Bereich – verschiedene Versuche einer solchen Neubewertung, die insbesondere die theatrale Dimension der Tragödie und des Tragischen ins Zentrum stellen.
Ausgehend von der einflussreichen Definition des Aristoteles wurden unter Tragödien zumeist Dramentexte verstanden, die eine Klimax menschlichen Scheiterns und Leidens angesichts eines übermächtigen Schicksals illustrieren – mit dem Ziel einer Katharsis der Rezipierenden. Die Aufführung geriet angesichts des wirkmächtigen Dramentextes in den Hintergrund und blieb es in vielen traditionellen Tragödientheorien auch.
Im Seminar soll es daher einerseits um die Auseinandersetzung mit aktuellen Theorien gehen, die – mit Blick auf die performative Praxis – die ästhetischen Verfahren und künstlerischen Praktiken untersuchen, mit denen das Tragische einem (gegenwärtigen) Publikum erfahrbar gemacht wird. Parallel dazu beschäftigen wir uns mit Beispielen aus der Theaterpraxis, die produktiv auf das Tragische zurückgreifen.
Wie werden Tragödientexte um- und fortgeschrieben? Welche Strategien zum Transfer klassischer Stoffe ins Gegenwartstheater werden aufgeboten? Wie artikuliert sich das Tragische bei Schleef, Castellucci, Fabre, Jellinek, Pollesch u.a.?
- Kursleiter/in: Catherin Persing