Obwohl das Phänomen Männlichkeit eine dominante und somit äußerst relevante gesellschaftliche und kulturelle Größe darstellt, bleibt es als expliziter Gegenstand der Forschung bis in die 1960er weitgehend unsichtbar. Gerade in dieser Unterbelichtung liegt jedoch eine der Bedingungen dafür, dass Männlichkeit ihre kulturelle Autorität, ihre Macht und die damit verbundenen Privilegien behaupten konnte, indem sie so selbst als das universelle, jenseits der Kritik stehende Prinzip erscheint. Erst durch die feministische Frauenforschung ab den 1970er Jahren gerät sie im Zuge der Kritik an der vermeintlich natürlichen binären Geschlechter- und patriarchalen Gesellschaftsordnung in den Fokus des Diskurses. Einhergehend mit der institutionellen Etablierung der Gender Studies sowie v. a. forciert durch die Thesen Raewyn Connells und deren Terminus der ‚Hegemonialen Männlichkeit‘ beginnen sich ab den 1990er Jahre die kritischen Masculinity Studies zu entwickeln. Unter dem Einfluss des Poststrukturalismus und insbesondere Judith Butlers Thesen zur Performativität von Geschlecht stellt sich Männlichkeit schließlich als veränderliches Konstrukt dar.
In den Kunstwissenschaften ist sie nicht nur in Bezug auf Ikonografien und Darstellungsmodi des männlichen Körpers oder die Rolle des Betrachters oder der Betrachterin relevant. Auch Fragen hinsichtlich der Autorschaft werden etwa mit Blick auf die Kritik am Geniekult oder die Strukturen künstlerischer Ausbildungsstätten diskutiert. In Verbindung mit den Queer-Studies, sowie Forschungen zu Trans- und Intersexualität kristallisieren sich Fragen nach der zukünftigen Gültigkeit der Kategorie Männlichkeit heraus. 

Nach der Lektüre einer Auswahl an Grundlagentexten der fächerübergreifenden Männlichkeitsforschung sowie aus den Kunstwissenschaften werden wir anhand zeitgenössischer Beispiele die neuesten Entwicklungen der Männlichkeitsforschung diskutieren. Es wird eine Bereitschaft zur Lektüre, Diskussion und Übernahme eines Referats sowie zur Teilnahme an der Tagung erwartet. 

Die Studierenden müssen an der ganztägigen Sektion zur Männlichkeitsforschung der Eröffnungstagung des „Marie Jahoda Zentrums für Gender Studies“ der RUB in Bochum am Mittwoch, den 26. Juni 2019 von 10-17 Uhr teilnehmen und ein Protokoll eines Vortrags anfertigen. Die Teilnahme an dieser Sektion ist Teil des Seminars und wird mit drei Sitzungen angerechnet.
Einführende Literatur:
Benthien, Claudia und Inge Stephan (Hgg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2003.

Fend, Mechthild und Marianne Koos (Hgg.): Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit der Frühen Neuzeit, Köln 2004.

Horlacher, Stefan, Bettina Jansen und Wieland Schwanebeck (Hgg.): Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016. 

Jones, Amelia: Dis/Playing the phallus. Male artists perform their masculinities, in: Art history, Vol. 17, 1994, Issue 4, S. 546-584.

Söll, Änne und Gerald Schröder (Hgg.): Der Mann in der Krise? Visualisierungen von Männlichkeit im 20. und 21. Jahrhundert, Köln 2015.

Semester: WiSe 2024/25