7.2 Das charakteristische Polynom
7.2 Das charakteristische Polynom
Wenn \(\lambda\) ein Eigenwert einer \(n\times n\)-Matrix \(A\) ist, dann ist
\(A\vec{v}=\lambda\vec{v}\) beziehungsweise \((A-\lambda E_n)\vec{v}=\vec{0}.\)
Es gibt also zwei Vektoren, nĂ€mlich \(\vec{v}\) und \(\vec{0}\), die beide von der Matrix \(A-\lambda E_n\) auf den Nullvektor abgebildet werden. Das heiĂt aber, dass die Matrix \(A-\lambda E_n\) nicht invertierbar ist, weil die entsprechende Abbildung nicht injektiv ist.
Wir wissen aber schon, dass die Determinante von Matrizen, die nicht invertierbar sind, verschwindet. Damit haben wir ein sehr praktisches Kriterium, mit dessen Hilfe man Eigenwerte tatsÀchlich ausrechnen kann:
Sei \(A\) eine \(n\times n\)-Matrix. Dann ist \(\lambda \in \mathbb {C}\) genau dann ein Eigenwert von \(A\), wenn
\(\det(A-\lambda E_n)=0\)
ist.
Den Eigenvektor \(\vec{v}\) zum Eigenwert \(\lambda \) bestimmt man anschlieĂend, indem man die Lösungen des Gleichungssystems \((A-\lambda E_ n) \vec{v} =\vec{0}\) sucht. Da mit \(\vec{v}\) auch die Vielfachen von \(\vec{v}\) Eigenvektoren sind, hat dieses Gleichungssystem keine eindeutige Lösung!
Tipp: Wie schon erwĂ€hnt ist mit \(\vec{v}\) auch jedes Vielfache \(c\vec{v}\) mit \(c\neq 0\) ein Eigenvektor. Man kann es also oft so einrichten, dass in den EintrĂ€gen des Eigenvektors keine BrĂŒche auftreten. Statt des Eigenvektors \(\vec{v}=\left(\begin{array}{r} 2/3 \\ -1/2 \\ 1\end{array}\right)\) ist es fĂŒr das Weiterrechnen sinnvoll \(\vec{w} = 6\vec{v}=\left(\begin{array}{r} 4 \\ -3 \\ 6\end{array}\right)\) zu wĂ€hlen.
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Sei \(A= \left(\begin{array}{rr} 1 & 1 \\ 0 & -2\end{array}\right)\).
Dann ist \(\det (A-\lambda E_2) = \left|\begin{array}{rr} 1-\lambda & 1 \\ 0 & -2-\lambda \end{array}\right|=(1-\lambda )(-2-\lambda )=0\) genau dann erfĂŒllt, wenn \(\lambda =1\) oder \(\lambda =-2\) ist.
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Sei \(A= \left(\begin{array}{rr} 0 & 1 \\ -1 & 0 \end{array}\right)\).
Dann hat \(\det (A-\lambda E_2) = \left|\begin{array}{rr} -\lambda & 1 \\ -1 & -\lambda \end{array}\right|=\lambda ^2+1=0\) die beiden Lösungen (alias Eigenwerte) \(\lambda _1= i\) und \(\lambda _2=-i\) mit zugehörigen Eigenvektoren
\(\vec{v}_1=\left(\begin{array}{c}1\\i\end{array}\right)\) und \(\vec{v}_2=\left(\begin{array}{r}1\\-i\end{array}\right).\)
\(\chi_A(\lambda):=\det(A-\lambda\cdot E_n)\)
das charakteristische Polynom von \(A\).
Das charakteristische Polynom ist nicht irgendein Polynom in \(\lambda\), sondern einige der Koeffizienten haben eine spezielle Gestalt. DafĂŒr benötigen wir noch eine "AbkĂŒrzung":
Sei \(A\) eine \(n\times n\)-Matrix. Die Summe der Diagonalelemente von \(A\) heiĂt Spur:
\(\mathrm{spur}(A) \; = \; a_{11}+a_{22}+\dots +a_{nn}\)
\(\chi_A(\lambda)=\alpha_n\lambda^n+\alpha_{n-1}\lambda^{n-1}+\ldots+\alpha_1\lambda+\alpha_0\)
mit \(\alpha _ n=(-1)^ n\), \(\alpha _{n-1}=(-1)^{n-1}\mathrm{spur} (A)\) und \(\alpha _0=\det A\).BegrĂŒndung: Die Behauptung \(\alpha _0=\det (A)\) ergibt sich aus der kurzen Rechnung
\(\det(A)=\det(A-0\cdot E_n)=\chi_A(0)=\alpha_n 0^n+\alpha_{n-1}0^{n-1}+\dots+\alpha_1\cdot 0+\alpha_0=\alpha_0.\)
Die Behauptung ĂŒber die beiden fĂŒhrenden Koeffizienten kann man im Fall \(n=1\), \(n=2\) oder \(n=3\) einfach nachrechnen. Bei \(n=2\) ist fĂŒr
\(A=\left(\begin{array}{rr}a_{11}&a_{12}\\a_{21}&a_{22}\end{array}\right)\)
konkret
\(\begin{array}{rcl}\det(A-\lambda\,E_2)&=&\left|\begin{array}{rr}a_{11}-\lambda&a_{12}\\a_{21}&a_{22}-\lambda\end{array}\right|\\&=&(a_{11}-\lambda)(a_{22}-\lambda)-a_{12}a_{21}=(-\lambda)^2-\underbrace{(a_{11}+a_{22})}_{\mathrm{spur}(A)}\lambda+\underbrace{a_{11}a_{22}-a_{12}a_{21}}_{\det(A)}\end{array}\)
Die Idee, wie man die Aussage fĂŒr allgemeines n nachweist (mit VollstĂ€ndiger Induktion!) skizzieren wir fĂŒr alle Interessierten hier.
Eine Tatsache aus der Algebra, die wir im Kapitel ĂŒber komplexe Zahlen schon angesprochen haben, ist der Fundamentalsatzes der Algebra: Jedes Polynom n-ten Grades mit reellen (oder komplexen) Koeffizienten besitzt genau n (nicht unbedingt verschiedene) komplexe Nullstellen. Ein Polynom p vom Grad n lĂ€sst sich daher im Komplexen immer in Linearfaktoren zerlegen:
\(p(\lambda)=c(\lambda-\lambda_1)\cdot(\lambda-\lambda_2)\cdot\ldots\cdot(\lambda-\lambda_n)\)
Fasst man noch die Terme zusammen, die zu denselben Nullstellen gehören, dann kann man ein Polynom mit m verschiedenen Nullstellen auch schreiben als
\(p(\lambda)=c(\lambda-\lambda_1)^{\alpha_1}\cdot(\lambda-\lambda_2)^{\alpha_2}\cdot\ldots\cdot(\lambda-\lambda_m)^{\alpha_m}\)
wobei \(\lambda_1,\lambda_2,\ldots ,\lambda_m\) nun lauter verschiedene Zahlen sind.
Sei \(A\) eine \(n\times n\)-Matrix mit charakteristischem Polynom
\(\chi_A(\lambda)= (-1)^n(\lambda-\lambda_1)^{\alpha_1}\cdot(\lambda-\lambda_2)^{\alpha_2}\cdot\ldots\cdot(\lambda-\lambda_m)^{\alpha_m}\)
wobei \(\lambda _1\), \(\lambda _2,\ldots ,\lambda_m\) die verschiedenen Eigenwerte von \(A\) sind.
Dann nennt man die Zahl \(\alpha_ j\) die algebraische Vielfachheit des Eigenwerts \(\lambda _ j\).
Per Definition gibt es zu jedem Eigenwert \(\lambda_ j\) einer Matrix \(A\) einen Eigenvektor, wenn die algebraische Vielfachheit eines Eigenwerts gröĂer als Eins ist können aber auch mehrere linear unabhĂ€ngige Eigenvektoren vorkommen.
Da Linearkombinationen von Eigenvektoren zum selben Eigenwert ebenfalls Eigenvektoren sind, existiert beispielsweise fĂŒr einen geometrisch doppelten Eigenwert eine ganze "Ebene" aus Eigenvektoren. Dies kann aber nur fĂŒr algebraische mehrfache Eigenwerte vorkommen, denn es gilt:
Insbesondere gehört zu jedem algebraisch einfachen Eigenwert, also zu jeder einfachen Nullstelle des charakteristischen Polynoms, immer nur ein linear unabhÀngiger Eigenvektor.
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Berechne das charakteristische Polynom \(\chi_A(\lambda )=\det (A- {\lambda }E_ n)\).
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Bestimme die komplexen(!) Nullstellen des Polynoms \(\chi _ A\). Das charakteristische Polynom kann maximal \(n\) komplexe Nullstellen besitzen.
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FĂŒr jeden Eigenwert \(\lambda\) findet man Eigenvektoren, indem man das lineare Gleichungssystem \((A- \lambda E_ n)\vec{v}=0\) löst. Dabei ist zu beachten:
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\(\vec{0}\) ist nie der einzige Eigenvektor. Wer als Eigenvektor nur die Lösung \(\vec{0}\) erhÀlt, hat sich entweder bei der Berechnung des Eigenvektors oder (hÀufiger) bei der Bestimmung des Eigenwerts verrechnet.
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eine reelle Matrix kann durchaus komplexe Eigenwerte besitzen (das ist einer der wesentlichen GrĂŒnde, warum man mit komplexen Zahlen rechnen können sollte)
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zu komplexen Eigenwerten einer reellen Matrix ergeben sich komplexe Eigenvektoren, genauer:
Wenn \(\lambda \notin \mathbb {R}\) ein komplexer Eigenwert mit komplexem Eigenvektor \(\vec{v}\) ist, dann ist auch die komplex-konjugierte Zahl \(\overline{\lambda}\) ein Eigenwert von \(A\) und zwar mit dem Eigenvektor \(\overline{\vec{v}}\), der sich aus \(\vec{v}\) ergibt, indem man jede Komponente komplex konjugiert. -
Wenn \(\lambda\) eine k-fache Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist, dann kann es bis zu k linear unabhÀngige Eigenvektoren geben. Das muss aber nicht sein, eventuell gibt es auch nur einen (oder \(2,3,\ldots , k-1\)) linear unabhÀngige Eigenvektor(en). Das kann man nur herausfinden, indem man diese Eigenvektoren tatsÀchlich berechnet.
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