10.6 Funktionsgrenzwerte und Stetigkeit
10.6 Funktionsgrenzwerte und Stetigkeit
In der Praxis hat man recht selten mit Zahlenfolgen, aber oft mit Funktionen zu tun. Daher ĂŒbertragen wir den Grenzwertbegriff nun auf Funktionen.
Sei \(f:D\to \mathbb {R}\) eine Funktion und \(x_0\in \mathbb {R}\).
Man sagt, dass \(f\) fĂŒr \(x\to x_0\) den Grenzwert \(a\) hat, wenn fĂŒr jede Folge \(( x_ n)_{n\in \mathbb {N}}\) mit \(x_ n\in D\setminus \{ x_0 \} \) und \(\lim \limits _{n\to \infty } x_ n= x_0\) gilt:
\(\lim\limits_{n\to\infty}f( x_n)=a.\)
Man schreibt in diesem Fall
\(\lim\limits_{x\to x_0}f( x)=a.\)
Â
Anschaulich bedeutet der GrenzĂŒbergang \(x\to x_0\), dass \(x\) der Stelle \(x_0\) beliebig nahe kommt, den Wert \(x_0\) aber nicht annimmt.
Es wird dabei vorausgesetzt, dass es eine Folge im Definitionsbereich von \(f\) gibt, die gegen \(x_0\) konvergiert.
Oft erlaubt man auch uneigentliche Grenzwerte und schreibt \(\lim \limits _{x\to x_0} f( x) =+\infty \) oder \(\lim\limits_{x\to x_0} f( x) =-\infty \), falls die Folge \(( x_ n)\) den uneigentlichen Grenzwert \(+\infty \) oder \(-\infty \) besitzt.
Aus den Rechenregeln fĂŒr Grenzwerte von Folgen erhĂ€lt man unmittelbar
Seien \(f\) und \(g\) zwei Funktionen, fĂŒr die die Grenzwerte \(\lim\limits_{x\to x_0} f( x)\) und \(\lim \limits _{x\to x_0} g( x)\) beide existieren. Dann gilt
\(\begin{array}{rcl}\lim\limits_{x\to x_0}\left(f( x)+g( x)\right)&=&\lim\limits_{x\to x_0}f( x)+\lim\limits_{x\to x_0}g(x)\\ \lim\limits_{x\to x_0}\left(f(x)-g(x)\right)&=&\lim\limits_{x\to x_0}f( x)-\lim\limits_{x\to x_0}g( x)\\ \lim\limits_{x\to x_0}\left(f( x)\cdot g( x)\right)&=&\lim\limits_{x\to x_0}f( x)\cdot\lim\limits_{x\to x_0}g( x)\\ \lim\limits_{x\to x_0}\displaystyle\frac{f( x)}{g( x)}&=&\displaystyle\frac{\lim\limits_{x\to x_0}f( x)}{\lim\limits_{x\to x_0}g( x)}\;\;\text{falls}\;\;\lim\limits_{x\to x_0}g( x)\neq 0\\ \lim\limits_{x\to x_0}(c\cdot f( x))&=&c\cdot\lim\limits_{x\to x_0}f( x)\;\;\text{f\"ur\;\;alle}\;\;c\in\mathbb{R}\end{array}\)
Â
Grenzwerte von Funktionen können verwendet werden, um spezielle GrenzfĂ€lle (kleine Massen, kleines MassenverhĂ€ltnis, groĂe AbstĂ€nde,...) zu berechnen.
Beim idealen elastischen StoĂ von zwei Massen gelten der Energie- und der Impulserhaltungssatz:
\(\begin{array}{rcl}\displaystyle\frac{1}{2}m_1u_1^2+\displaystyle\frac{1}{2}m_2u_2^2&=&\displaystyle\frac{1}{2}m_1v_1^2+\displaystyle\frac{1}{2}m_2v_2^2\\m_1u_1+m_2u_2&=&m_1v_1+m_2v_2\end{array}\)
wobei \(u_1\), \(u_2\) die Geschwindigkeiten vor dem StoĂ und \(v_1\), \(v_2\) die Geschwindigkeiten nach dem StoĂ sind.
Durch algebraische Umformungen kann man aus diesen beiden Gleichungen die Geschwindigkeiten nach dem StoĂ aus \(u_1\) und \(u_2\) berechnen:
\(\begin{array}{rcl}v_1&=&\displaystyle\frac{m_1u_1+m_2(-u_1+2u_2)}{m_1+m_2}\\v_2&=&\displaystyle\frac{m_1(2u_1-u_2)+m_2u_2}{m_1+m_2}\end{array}\)
Als GrenzfĂ€lle kann man beispielsweise den Fall betrachten, dass eine sehr viel gröĂere Masse auf eine kleine trifft (\(m_2\to 0\)). Physikalisch ergibt der Grenzfall \(m_2=0\) natĂŒrlich keinen Sinn (was ist eine masselose Kugel?), aber die Geschwindigkeiten im Grenzfall \(m_2=0\)
\(\begin{array}{rcl}v_1&=&u_1\\v_2&=&2u_1-u_2\end{array}\)
sind eine gute NĂ€herung fĂŒr die Geschwindigkeiten bei \(m_2{\approx }0\)
Â
Stetigkeit
Wenn man in einer Versuchsanordnung eine InputgröĂe regeln kann, erwartet man typischerweise, dass kleine Ănderungen (wenig Drehen am Regler) auch nur kleine Ănderungen am Output bewirken. Diese Eigenschaft, dass eine kontinuierliche Ănderung von \(x\) auch eine allmĂ€hliche Ănderung von \(f( x)\) bewirkt ohne dass SprĂŒnge auftreten, nennt man Stetigkeit. Sie ist in aller Regel die Mindestanforderung an "vernĂŒnftige" Funktionen, mit denen man technische VorgĂ€nge beschreibt.
Es ist aber natĂŒrlich nicht so, dass diese Eigenschaft automatisch vorhanden ist. Ein anschauliches
In der RealitĂ€t ist die Kraft aber niemals genau parallel zur Achse. Solange die Kraft klein ist, macht das kaum einen Unterschied, aber ab einer gewissen Schwelle beobachtet man, dass der Stab plötzlich "âknickt"â und sich verbiegt. Tastet man sich an diesen Punkt heran, dann schafft man es, mit einer sehr, sehr kleinen Ănderung der Druckkraft eine groĂe Wirkung zu erzielen. Im Ingenieurs-Alltag hat diese Unstetigkeit insofern eine Bedeutung als man natĂŒrlich so konstruiert, dass diese Eulersche Knicklast gerade nicht auftritt.
Weitere Beispiele fĂŒr "natĂŒrliche" unstetige VorgĂ€nge sind BrĂŒche oder Rissbildungen.
\(\lim\limits_{x\to x_0}f(x)=f(x_0)\)
gilt. Die Funktion heiĂt stetig, wenn sie an jedem Punkt ihres Definitionsbereiches stetig ist.Summen, Differenzen, Produkte, Quotienten und Verkettungen von stetigen Funktionen sind (soweit sie definiert sind) auch wieder stetig:
-
Die Funktionen \(f+g\), \(f-g\) und \(f\cdot g\) sind stetig. Falls \(g(x)\neq 0\) fĂŒr alle \(x\), dann ist auch \(f/g\) stetig
-
die HintereinanderausfĂŒhrung \(g\circ f\) ist stetig (vorausgesetzt, dass \(f(x)\) fĂŒr alle \(x\) im Definitionsbereich von \(g\) liegt).
Achtung! Leider gibt es nicht nur Sprungstellen, die fĂŒr die Unstetigkeit einer Funktion sorgen können, sondern auch andere Effekte, insbesondere starke Oszillationen. Selbst Wertetabellen können hier ziemlich in die Irre fĂŒhren.
Betrachte als Beispiel dafĂŒr die Funktion \(f( x)=\sin \left(\displaystyle\frac {\pi }{x}\right)\) mit der harmlos aussehenden Wertetabelle
\(x\) |
\(\sin \left(\displaystyle\frac {\pi }{x}\right)\) |
1,0 |
0 |
0,5 |
0 |
0,4 |
1 |
0,3 |
-0,866 |
0,2 |
0 |
0,1 |
0 |
0,05 |
0 |
0,01 |
0 |
0,005 |
0 |
Â
\(\lim\limits_{x{\to}0}\displaystyle\frac{\sin( x)}{x}=1\)
ist und dass man daher \(f\) zu einer auf ganz \(\mathbb {R}\) stetigen Funktion machen kann, wenn man an der DefinitionslĂŒcke zusĂ€tzlich \(f( 0)=1\) definiert. Diese DefinitionslĂŒcke ist also "hebbar", das heiĂt man kann sie beseitigen, indem man einen geeigneten Funktionswert "von Hand" definiert. Eine geometrische Ăberlegung liefert uns den oben angesprochenen Grenzwert:Wenn man die FlĂ€cheninhalte des Dreiecks \(MFC\) , des Kreissegments \(MAC\) und des Dreiecks \(MAB\) miteinander vergleicht, dann ist
\(\sin(x)\leq x\leq\tan(x)\)
Daraus ergibt sich\(\cos(x)\leq\displaystyle\frac{\sin( x)}{x}{\leq}1\)
und weil fĂŒr \(\lim \limits _{x\to 0}\cos ( x)=\cos ( 0)=1\) ist, strebt die linke Seite der Ungleichung genau wie die rechte gegen \(1\). Damit muss auch der mittlere Ausdruck gegen \(1\) konvergieren.Der Grenzwert
\(\lim\limits_{x\to 0}\displaystyle\frac{\sin( x)}{x}=1\)
ist auch der Grund, warum man in vielen Situationen, in denen der Winkel \(x\) einigermaĂen klein ist, \(\sin ( x)\) zur Vereinfachung durch \(x\) ersetzt.
So wird zum Beispiel aus der Differentialgleichung \(\ddot{x}+\displaystyle\frac {g}{\ell }\sin ( x)=0\), die sich nicht exakt explizit lösen lÀsst durch diese Vereinfachung der harmonische Oszillator \(\ddot{x}+\displaystyle\frac {g}{\ell }x=0\), dessen Lösungen viel leichter zu bestimmen sind.
Â
-
Kann ein Nenner Null werden?
-
Kann unter einer Wurzel etwas Negatives stehen?
-
Versucht man, den Logarithmus einer nicht-positiven Zahl zu bilden?
-
Wenn die Funktion abschnittsweise definiert ist: Passen die Abschnitte "lĂŒckenlos" zusammen?