1.2 Zahlen
Zahlen spielen in fast allen Bereichen der Angewandten Mathematik eine wichtige Rolle. Wir werden Sie sowohl in der Analysis als auch in der analytischen Geometrie verwenden. Aus der Schule kennen Sie (mindestens) die
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natürlichen Zahlen \(\mathbb{N}=\{ 1,2,3,\ldots \}\),
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ganzen Zahlen \(\mathbb{Z}=\{ \dots , -3,-2,-1,0,1,2,3,\dots \}\),
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rationalen Zahlen \(\mathbb{Q}\) (Bruchzahlen) und die
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reellen Zahlen \(\mathbb{R}\)
Neu hinzu kommen am Ende dieses Kapitels die komplexen Zahlen .
\(\mathbb{N},\mathbb{Z},\mathbb{Q}\) und \(\mathbb{R}\) sind Beispiele für Mengen .
Bei $\mathbb{Q}$ und $\mathbb{R}$ ist es schwieriger oder sogar unmöglich, alle Elemente der Reihe nach systematisch aufzuzählen, aber man kann $\mathbb{Q}$ zum Beispiel angeben durch die Eigenschaft,
$\mathbb{Q}=\left\{\displaystyle\frac{p}{q};\;p,q\in\mathbb{Z}\right\}$ |
die in Worte übersetzt bedeutet, dass jede rationale Zahl der Quotient von zwei ganzen Zahlen ist.
In vielen Fällen werden Formeln aus der Mathematikvorlesung weder in der Vorlesung noch im Skript noch im Mathebuch in eine umgangssprachliche Form übersetzt. Das liegt unter anderem daran, dass die Mathematiker befürchten, ihre Definitionen könnten durch die umgangssprachliche Formulierung an Präzision verlieren. Trotzdem sollte man sich immer klarzumachen, was eine Formel in einer Aufgabe oder im Skript genau "'bedeutet"' und wie sie sich in Worten beschreiben lässt.
Eine andere Charakterisierung der rationalen Zahlen ist Ihnen vielleicht aus der Schule geläufig: $\mathbb{Q}$ enthält alle Zahlen, deren Dezimalentwicklung entweder abbricht oder ab irgendeiner Stelle periodisch ist. Dazu gehören beispielsweise
$$\begin{array}{rcl}\displaystyle\frac{121}{50}&=&\displaystyle\frac{242}{100}=2.42,\;\;\;\;\;\displaystyle\frac{17}{99}=0.17171717\ldots=0.\overline{17}\\&&\\\displaystyle\frac{3}{14}&=&0.2142857142857142857\ldots=0.2\overline{142857}\end{array}$$ |
Im Gegensatz dazu sind die Irrationalzahlen diejenigen Zahlen, deren Dezimalentwicklung nicht abbricht und auch nie periodisch wird. Beispiele hierfür sind Wurzeln wie $\sqrt {2} = 1.4142135\ldots$, Logarithmen wie $\ln 2=0.693147\ldots $ oder die Zahl $\pi = 3.14159265\ldots$, die unter anderem bei der Berechnung von Kreisumfang, Kreisfläche und Kugelvolumen auftritt.
Man kann sich überlegen, dass zwischen zwei beliebigen Bruchzahlen \(\frac{p}{q}\) und $\frac{r}{s}$ immer eine irrationale Zahl $\gamma $ liegt (in Wahrheit sogar unendlich viele). Die Menge der rationalen Zahlen ist daher in einem nicht sehr anschaulichen Sinne voller "Lücken".
Rationale und irrationale Zahlen zusammen bilden die Menge $\mathbb{R}$ der reellen Zahlen. Diese Menge der reellen Zahlen weist keine "'Lücken"' mehr auf und bietet daher für die Mathematik entscheidende Vorteile. Mehr dazu in Kapitel 3.
Reelle Zahlen
Die reellen Zahlen sind diejenigen Zahlen, mit denen man in der Höheren Mathematik am häufigsten rechnet.
Sie werden durch drei Eigenschaften beschrieben:
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die aus der Schule bekannten Rechenregeln für +, -, ⋅ und /
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ihre Anordnung
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ihre Vollständigkeit, d.h. die eben erwähnte Eigenschaft, dass die Menge der reellen Zahlen keine "'Lücken"' aufweist
Die Rechenregeln besagen kurz gefasst, dass für zwei reelle Zahlen a und b die Summe a+b, das Produkt $a{\cdot } b$ und die Differenz a-b wieder eine reelle Zahl ist. Auch der Quotient $a/b$ ist eine reelle Zahl, falls $b\neq 0$ ist. Für die Addition und die Multiplikation gelten jeweils das Assoziativ- und das Kommutativgesetz:
$(a+b)+c=a+(b+c)$ und $a+b =b+a$
$(a{\cdot}b){\cdot}c=a{\cdot}(b{\cdot}c)$ und $ a{\cdot}b=b{\cdot}a$
Außerdem sind die Multiplikation und die Addition durch das Distributivgesetz miteinander verknüpft:
(a+b) ⋅ c = a ⋅ c + b ⋅ c.
Die zweite Eigenschaft der reellen Zahlen, die Anordnungseigenschaft besagt, dass man zwei reelle Zahlen immer miteinander vergleichen kann:
x < y oder x=y oder x > y.
Diese Eigenschaft ist der Grund dafür, dass man sich die reellen Zahlen oft als die Menge der Punkte auf der "Zahlengeraden" vorstellt. Je weiter rechts eine Zahl auf dieser Geraden liegt, umso größer ist sie. Auch wenn den meisten Studierenden das völlig selbstverständlich vorkommt, bei den komplexen Zahlen, die wir bald kennenlernen werden, gibt es diese Eigenschaft nicht.
Für das Rechnen mit Ungleichungen gibt es einige Regeln.
Seien a,b und c reelle Zahlen. Dann gilt:
a < b und b < c $\Rightarrow$ a < c
a < b und $c\in\mathbb{R} \qquad\Rightarrow$ a+c < b+c
a < b und c > 0 $\Rightarrow a \cdot c < b \cdot c$
Oft verwendet man auch Vergleiche mit $\leq$ und $\geq $.
Überlegen Sie sich selbst, dass die oben angegebenen Rechenregel für Ungleichungen auch gelten, wenn man überall < durch ≤ und > durch ≥ ersetzt.
Etwas vorsichtiger muss man sein, wenn man Ungleichungen mit negativen Zahlen multipliziert oder auf beiden Seiten Kehrwerte bildet, denn dann kann sich das Ungleichheitszeichen ändern, aus "$\leq$" wird also "$\geq$" und umgekehrt:
$$\begin{array}{rcl}a\;\leq\;b\;\;\;\text{und}\;\;\;c\;\leq\;0& \Rightarrow&a{\cdot}c\;\geq\;b{\cdot}c\\ &&\\0\;\leq\;a\;\leq\;b\;\;\;\text{oder}\;\;\;a\;\leq\;b\;\leq\;0&\Rightarrow&\displaystyle\frac{1}{a}\;\geq\;\displaystyle\frac{1}{b}\\&&\\ \;\;\;\text{jedoch}\;\;\;\;a\;\leq\;0\;\leq\;b&\Rightarrow&\displaystyle\frac{1}{a}\;\leq\;0\;\leq\;\displaystyle\frac{1}{b} \end{array}$$
Insbesondere ergeben sich daraus auch die bekannten Regeln
$$\begin{array}{rcl}\text{positiv}\cdot\text{positiv}=\text{positiv},&\;\;\;&\displaystyle\frac{\text{positiv}}{\text{positiv}}=\text{positiv}\\ \text{positiv}\cdot\text{negativ}=\text{negativ},&\;\;\;&\displaystyle\frac{\text{positiv}}{\text{negativ}}=\text{negativ}\\ \text{negativ}\cdot\text{positiv}=\text{negativ},&\;\;\;&\displaystyle\frac{\text{negativ}}{\text{positiv}}=\text{negativ}\\ \text{negativ}\cdot\text{negativ}=\text{positiv},&\;\;\;&\displaystyle\frac{\text{negativ}}{\text{negativ}}=\text{positiv}\end{array}$$