Verben der Ablautreihe V haben ein <e> im Infinitiv, gefolgt von einem Konsonsanten (der kein Sonant ist!). Unser Beispiel lautet: mhd. kresen – krise – kras – krâsen – gekresen

Ein paar Verben, die eigentlich zur Ablautreihe V gehören, sind (schon im Althochdeutschen) zur Klasse IV gewechselt (fragen Sie mich bitte nicht, warum das passiert ist...). Zum Beispiel mhd. vehten – vihte – vaht – vâhten – gevohten

Des Weiteren wurde als Beispiel das starke Verb nemen gewählt, also ein Verb der Ablautreihe IV. Bei dieser Ablautreihe (und auch bei der Ablautreihe V) lässt sich ein Wechsel im Stammvokal beobachten zwischen dem Präsens Indikativ Singular und dem Präsens Indikativ Plural. Besonders zu beachten sind außerdem drei auffällige Abweichungen zum Neuhochdeutschen: Die <es(t)> Endung in der zweiten Person Singular Präsens, die <ent> Endung in der 3. Person Plural Indikativ Präsens sowie schließlich die zweite Person Singular Indikativ Präteritum: Diese Form hat immer, wenn es geht, einen Umlaut (und alle Vokale außer /i/ können umgelautet werden).

Kontraktionen, kontrahierte Verben und Klisen können bei der Lektüre mittelhochdeutscher Texte manchmal Schwierigkeiten bereiten. Formen wie leit (statt leget), seit (statt saget) und treit (statt traget) kommen häufiger vor; ebenso gît (statt gibet) und lît (statt liget). Auch slân (statt slahen) und vân (statt vahen) sind immer mal wieder anzutreffen. Im Fall von mhd. lâzen und mhd. haben haben sich sogar eigenständige kontrahierte – also »verkürzte« – Formen ausgebildet, nämlich lân und hân

Bei der »Klise« geht es um das Verschmelzen von Worten (wie wir es aus der gesprochenen Sprache kennen). Statt machten ez kann es machtens heißen, statt tu ez kann es tus heißen, statt ze aller kann es zaller heißen und so weiter. Etwas gemein sind Formen, bei denen sich der Vokal verändert, zum Beispiel: deist statt daz ist

Nachdem wir in der vergangenen Woche bereits die vierte und fünfte Ablautreihe kennengelernt haben, ging es in dieser Woche um die Ablautreihen I und III. Beide Ablautreihen haben zwei Unterklassen.

Die Ablautreihe I hat ein langes <î> als Stammvokal des Infinitivs: mhd. mîden – mîde – meit – miten – gemiten. Zu beachten ist der »Grammatische Wechsel«, der systematische Wechsel von <h> zu <g>, <d> zu <t> sowie <s> zu <r>. Im obigen Beispiel haben der Infinitiv und der Singular Präsens ein <d>; Plural Präteritum und Partizip Präteritum haben ein <t>. Das <t> im Singular Präteritum (meit) ist der Auslautverhärtung geschuldet. 

In die Ablautreihe Ib fallen diejenigen starken Verben mit langem <î>, bei denen das <î> vor <h> oder <w> steht: mhd. zîhen – zîhe – zêch – zigen – gezigen. (Mhd. zîhen meint »beschuldigen«; wir haben das Wort noch in »verzeihen«, also: »ent-schuldigen«, d.h.: die Beschuldigung zurücknehmen).

Ablautreihe IIIa hat ein kurzes <i> als Stammvokal, danach folgt ein Nasal (<m>, <n>) und danach ein Konsonant. Ablautreihe IIIb hat ein <e> im Stammvokal, danach folgt ein Liquid (<l>,<r>) und danach ein Konsonant.   

Im Mittelhochdeutschen gibt es nicht nur Negationswörter, sondern auch Negationspartikel. Diese Negationspartikel werden oft an andere Wörter angehängt, entweder vor das Wort (mhd. ich enweiz = ich weiß nicht) oder danach (mhd. ichn weiz = ich weiß nicht). Doppelte und mehrfache Verneinungen heben sich im Mittelhochdeutschen nicht auf. 

Mitunter verstärken doppelte und mehrfache Negationen die Aussage. Dies gilt etwa für das Beispiel: »Die Schönheit Gottes, die hat noch niemals irgendein Auge gesehen, die hat noch niemals irgendein Ohr gehört, die hat noch niemals irgendein Herz gedacht.«


Vokabeln:

kêren (swv) = sich zu etwas hinwenden, in eine bestimmte Richtung gehen, etw. eine bestimmte Richtung geben

degenheit = Heldenhaftigkeit, Tapferkeit (der degen ist der Held, der Kämpfer)

dô = damals, darauf (temporales Adverb, das Relativsätze einleiten kann)

nôt = Drangsal, Mühe, Notlage

kunt (tun) = kennenlernen, bekannt werden

gâhen (swv.) = eilen

ungefüege = unartig, unhöflich, unfreundlich, unbeholfen, ungestüm (d.h. alles, was sich nicht gut zueinander fügt)

verjehen (stv) = bekennen, aussagen, eingestehen, zu erkennen geben

Modifié le: vendredi 25 mars 2022, 12:44