Nachdem Sie in der letzten Woche die Vorlesung von Herrn Bastert gehört haben, kennen Sie sich ja schon gut mit der Heldenepik aus. Die Heldenepik macht einen Bereich der deutschsprachigen »Literatur« um 1200 aus. Zum Bereich der »Epik« gehören außerdem die Romane: Der Liebesroman (insbesondere Gottfrieds von Straßburg »Tristan), die Artusromane, die Antikenromane und außerdem legendarische Erzählungen. Auf Seiten der Lyrik unterscheidet man klassischerweise zwischen »Minnesang« (d.i.: Liebeslyrik) und »(Sang-)Spruchdichtung« (d.i. alles andere). Minnesang und Sangspruchdichtung lassen sich auch formal unterscheiden (allerdings ist unser Walther-Lied von letzter Woche dafür kein gutes Beispiel, das ist nämlich eine Mischform von Minnesang und Sangspruch (Walther macht manchmal solche Sachen)). Und dann gibt es noch die »Leich-Dichtung«, das sind komplex gebaute, oft lange lyrische Texte, die man manchmal als die Prunkform der mhd. Lyrik bezeichnet. Der Begriff »Lyrik« wird übrigens oft vermieden: Man geht davon aus, dass das, was wir in Textform haben, Vortragsdichtung war; deshalb spricht man eher von Liedern (oder halt von ›gesungenen Sprüchen‹, so erklärt sich der seltsame Begriff »Sangspruchdichtung«). 

Der Auszug aus dem »Schwabenspiegel« ist für das Vorlesen eine Herausforderung, denn es handelt sich um eine Transkription, also um eine handschriftennahe Version des Textes. (Im Gegensatz zur standardisierten »Edition«, bei der die Herausgeber*innen eine Art »Standardmittelhochdeutsch« anstreben) Wir haben es mit Superskripta zu tun (also: mit überschriebenen Buchstaben), mit einem vokalischen <v> und mit dem Schaft-s; außerdem erfüllt die Interpunktion einen anderen Zweck als in heutigen Texten.

Gelernt haben wir mittlerweile, dass es etwas gibt, das man »Verallgemeinerungspräfix« nennt, ein <s>, das dazu sorgt, dass Pronomen, Konjunktionen und Adverbien verallgemeinert werden: mhd. swer heißt »wer auch immer« oder »jeder, der«; mhd. swaz heißt »was auch immer« oder »alles, das«.

So langsam müssen wir uns außerdem um die Verben kümmern (schon deshalb, weil man die Infinitivformen braucht, um in den Wörterbüchern nachzuschlagen). Verben lassen sich näher bestimmen anhand ihrer Valenzen (Funktionsmöglichkeiten), die sich in Person (1., 2., 3.), Numerus (Singular/Plural), Tempus (Präsens, Präteritum) sowie Modus (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ) ausdrücken. Hinzu kommen die Partizipien (dt. »Verbaladjektiv«), also Verben, die adjektivisch verwendet werden. Verben haben einen Wortstamm (mit Stammvokal) und eine Endung (vor der ein Bindevokal stehen kann). 

In erzählenden Verstexten findet man sehr häufig die 3. P. Sg. Ind. Prät.*, weil oft von den Handlungen einzelner Figuren im Präteritum erzählt wird: er ging, er kämpfte, er hörte, er sah etc.. Prosatexte – also vor allem Sachtexte (darunter »wissensvermittelnde Texte«) – bleiben oft im Präsens.

Es gibt im deutschen »schwache« Verben, die recht regelmäßig sind (eine Ausnahme sparen wir uns für später). Schwache Verben bilden ihre Vergangenheit mit dem Dentalsuffix <t>: sagen (Infinitiv) – sag(e)te (Singular Präteritum) – gesaget (Partizip Präteritum). Man vermutet, dass dieses <t> ein Rudiment – ein Überbleibsel – des Wortes »tun« ist. In sprachgeschichtlicher Hinsicht könnte es so gewesen sein, dass man (vor vielen Jahrhunderten) die Vergangenheit von Verben dadurch gebildet hat, dass man ein »tun« an das Verb angehängt hat. Und das <t> wäre dann der heute noch sichtbare Rest davon.

»Starke« und somit unregelmäßige Verben bilden ihre Vergangenheit mittels Vokalveränderungen – man spricht vom »Ablaut« (und meint damit eine Vokalveränderung in etymologisch zusammengehörigen Wörtern). Zum Beispiel: geben (Infinitiv) – gibe (Sg. Präs.) – gap (Sg. Prät.) – gâben (Pl. Prät.) – gegeben (Part. Prät.). Die meisten starken Verben lassen sich (im Mhd.)** sieben »Ablautreihen« zuordnen. Jede dieser Ablautreihen hat fünf Spalten – und wenn man die Formen dieser fünf Spalten kennt, kann man alle weiteren Formen des jeweiligen Verbs daraus ableiten. Die Spalten stehen für den Infinitiv, für Singular Präsens, für Singular Präteritum, Plural Präteritum und schließlich für das Partizip Präteritum. 

Verben der Ablautreihe IV haben ein <e> im Infinitiv, gefolgt von einem Sonanten – und dieser dann wieder gefolgt von einem Vokal. Zu den Sonanten gehören die Liquide (l,r) und die Nasale (m,n). Unser Beispiel lautet: mhd. zemen – zime – zam – zâmen – gezomen. Es gibt ein paar Verben, bei denen der Liquid nicht nach dem <e> steht, sondern davor, zum Beispiel mhd. sprechen – spriche – sprach – sprâchen – gesprochen

Im heutigen Deutsch gibt es weniger starke Verben als im Mittelhochdeutschen. Außerdem werden keine neuen starken Verben gebildet (wenn ein Verb neu in die deutsche Sprache kommt, wird es immer als schwaches Verb behandelt).

Ach ja: Es gibt auch kontrahierte Verben (z.B. mhd. hân, nhd. haben). 

* Abkürzungen: 

P. = Person
Sg. = Singular
Pl. = Plural
Präs. = Präsens
Prät. = Präteritum
Ind. = Indikativ
Konj. = Konjunktiv

** Für das heutige Deutsch funktioniert das nicht mehr; wer heute Deutsch lernt, muss die starken Verben separat lernen (wobei es auch heute noch gewisse Ähnlichkeiten gibt – wir kennen das ja auch aus dem Englischen). 


Zuletzt geändert: Freitag, 25. März 2022, 12:41