Hast du Angst, im Dunkeln ĂŒber den Campus zu laufen?
Wurdest du im Seminar schon mal misgendert? Also dem falschen Geschlecht zugeordnet oder mit dem falschen Pronomen angesprochen?
Hat dir ein Kommilitone aus der Lerngruppe schon mal ungewollt ein Dickpic geschickt?
Dir ist das noch nie passiert? Anderen hingegen schon.

Der Moment, in dem du ein Bewusstsein fĂŒr andere LebensrealitĂ€ten und die Diskriminierungserfahrungen, die damit einhergehen können, entwickelst, nennt man Awareness. Übersetzt heißt Awareness so viel wie Achtsamkeit. Achtsamkeit hinsichtlich der eigenen Personen, anderer Menschen, der Umwelt:

„Achte auf dich und auf andere, auf deine und ihre Grenzen und BedĂŒrfnisse“ (Wiesental 2017, S. 15).

Hier geht es also um das SchĂ€rfen des Bewusstseins fĂŒr die eigenen Grenzen und BedĂŒrfnisse, aber auch fĂŒr die eigenen Stereotype und grenzĂŒberschreitende oder diskriminierende Verhaltensweisen; sich seiner eigenen Position in der Gesellschaft und der damit verbundenen Privilegien bewusst zu sein. Eine Schwarze Frau macht in der Uni zum Beispiel andere Erfahrungen als eine weiße Frau.

Awareness geht aber ĂŒber den Moment der Bewusstseinswerdung hinaus. Das Konzept, das aus der Psychologie stammt und von Aktivist*innen fĂŒr ihre Arbeit nutzbar gemacht wurde, umfasst auch die sich aus dem Moment des Aware-Seins ergebenen VerhaltensĂ€nderungen. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass eine Frau, die nachts vor mir (als Mann) herlĂ€uft und durch meine Anwesenheit Angst haben könnte, gehe ich demonstrativ etwas langsamer oder wechsele die Straßenseite. Oder wenn ich weiß, dass bestimmte Worte Menschen verletzen können, versuche ich sie demnĂ€chst einfach aus meinem Wortschatz zu streichen.


Manchmal merken wir erst durch die Reaktion unseres GegenĂŒbers, dass wir uns grenzĂŒberschreitend geĂ€ußert oder verhalten haben. In diesem Fall ist eine Entschuldigung angebracht und die Ambition, es das nĂ€chste Mal anders zu machen. Awareness bedeutet auch, anzuerkennen, dass Grenzen subjektiv sind.

Das klingt erst mal kompliziert, weil es fĂŒr uns nun mal einfacher ist, in Kategorien zu denken, aber mit ein bisschen Übung und Empathie lassen sich auch ungewohnte Situationen meistern. Jenny Odell bringt die mit Awareness verknĂŒpfte Haltung auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Einfaches Bewusstsein ist der Keim der Verantwortung" (Jenny Odell 2019; Übersetzt von der Autorin).


Neben den erwÀhnten individuellen Denk- und Verhaltensweisen umfasst das Awarenesskonzept auch die strukturelle Ebene. Diskriminierung und Gewalt sind in unseren gesellschaftlichen Strukturen verankert. Strukturen, die aus historischen und gesellschaftlichen MachtverhÀltnissen gewachsen sind und bewusst sowie unbewusst Einfluss auf Individuen und Institutionen haben.

Die Arbeits- und AusbildungsstĂ€tte Hochschule ist Abbild einer Gesellschaft und somit sowohl Ausdruck wie Produzentin der in ihr existierenden Diskriminierungsstrukturen und Hierarchien. Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt sind Probleme, die in allen gesellschaftlichen Bereichen noch weitgehend tabuisiert sind und wenig Öffentlichkeit erfahren – so auch in der Hochschule und insbesondere der Forschung.
Aus diesem Grund ist es wichtig, struktureller Diskriminierung zum Beispiel in Form von Sexismus mit entsprechenden Maßnahmen zu begegnen und angemessene PrĂ€ventionsstrategien zu entwickeln.
Zu solchen Maßnahmen zĂ€hlen u. a. Richtlinien, die darĂŒber aufklĂ€ren, was Sexismus, sexualisierte BelĂ€stigung und Gewalt sowie andere Formen der GrenzĂŒberschreitung bedeuten, an wen man sich innerhalb der Hochschule im Notfall wenden kann und welche Möglichkeiten man als betroffene Person hat, sich zu wehren.
Weitere Möglichkeiten sind Informations- und Sensibilisierungsworkshops zu den genannten Themen fĂŒr alle Mitglieder der Hochschule, Fortbildungen fĂŒr Menschen mit Leitungsfunktion, verschiedene Aktionen zugeschnitten auf die unterschiedlichen Statusgruppen, diskriminierungsarme Öffentlichkeitsarbeit und vieles mehr.

„In zwischenmenschlichen Beziehungen an lokalen sozialen Orten können Verhaltensweisen, Annahmen und Sichtweisen zwar verĂ€ndert werden, doch zieht das leider noch keinen strukturellen Wandel nach sich.“ (Wiesental 2017, S. 35)


Aus diesem Grund mĂŒssen die individuelle und strukturelle Ebene immer zusammengedacht werden, Awarenessarbeit muss dementsprechend auf beiden Ebenen ansetzen, um nachhaltig Kulturwandel anzustoßen.

Awarenessarbeit hat also zum Ziel, eine SensibilitĂ€t und Offenheit fĂŒr andere LebensrealitĂ€ten und damit verbundene Erfahrungen zu schaffen, aber auch Betroffenen Schutz zu bieten. Grundvoraussetzung dafĂŒr ist das Erkennen und die Infragestellung der eigenen Stereotype und Vorurteile und die Motivation, diese abzubauen.
Im feministischen Kontext bedeutet das, sexistische Strukturen und Verhaltensweisen zu erkennen, einen Weg zu finden, diese zu benennen und ihnen aktiv entgegenzutreten. Sich dieser diskriminierenden Gesellschaftsstrukturen oder Verhaltensweisen bewusst zu werden, verlangt Reflexionsarbeit und ein kontinuierliches (Dazu-)Lernen. Es braucht Courage und auch Empathie, sich mit der eigenen Position in der Gesellschaft und den damit verbundenen Privilegien auseinanderzusetzen und Diskriminierung zu erkennen. Auf die „eigenen ‚MĂ€ngel‘“ wird man in der Regel von anderen hingewiesen.

Das heißt, Diskriminierung spĂŒrt man, den eigenen Privilegien muss man sich erst gewahr werden.

Awarenessarbeit ist eine lebenslange Aufgabe. VerÀnderungen finden immer im Austausch statt, sei es durch GesprÀche mit Freund*innen, beim Lesen eines Buches oder dem Besuchen von Veranstaltungen.


„Reflexion geht vor und zurĂŒck, verlĂ€uft im Zickzack, beschreibt Kreise und bleibt auch mal irgendwo stecken.” (ebd.: 36)

Es gibt nicht die eine Lösung oder einen Fahrplan, der auf alle Situationen oder Institutionen anwendbar ist. Es ist nötig, die Gegebenheiten immer wieder zu reflektieren, um auf konkrete Strukturen, Ereignisse und Menschen einzugehen.

 


Quellen:

  • Odell, Jenny (2021): Nichts tun. Die Kunst, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu entziehen. MĂŒnchen: Verlag C.H. Beck.

 


Verfasst von Laura Chlebos.