„Zu lange wurde der Kampf für die Rechte von Frauen und Mädchen als Frauensache angesehen. Natürlich ist er auch Männersache und hört auf, ein solcher Kampf zu sein, wenn er so gesehen wird. Dieses Reframing gibt uns eine Chance, Gewalt gegen Frauen als zutiefst toxisch für uns alle zu verstehen.”

Phumzile Mlambo-Ngcuka, UN-Under-Secretary-General and Executive Director of UN Women

Ist es nicht an der Zeit, dass Männer ihre Rolle und ihren Einfluss in der Beendigung von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt erkennen und anfangen zu handeln?


Unter Männlichkeits- und Geschlechterforscher*innen besteht Konsens darüber, dass trotz der Existenz unterschiedlicher Männlichkeiten in unserer Gesellschaft nach wie vor traditionelle Muster von Männlichkeit im Denken und Handeln verbreitet sind. Mit traditioneller Männlichkeit werden Werte wie Stärke, Rationalität und Tapferkeit verbunden, weiblich konnotierte Eigenschaften wie Emotionalität, Fürsorge und Passivität wiederum ausgeschlossen. Im Allgemeinen werden Jungen weniger darin unterstützt, ein breites Spektrum an Bewältigungsstrategien im Umgang mit Zurückweisung, Phasen der Verunsicherung oder Krisen auszubilden. Redensarten wie ‚Boys don’t cry‘ (Jungs weinen nicht) oder ‚Boys will be Boys‘ (Jungs sind nun mal Jungs) stützen destruktive Verhaltensweisen wie emotionale Distanz und Aggressivität und tragen dazu bei, Gewalthandeln als Konfliktbewältigung – unter Jungs und Männer, aber auch gegen Frauen, Kinder und trans*, inter* und queere Menschen gerichtet – zu normalisieren.

Die geschlechterspezifische Sozialisation, die Jungen und Männern keine breite emotionale Entfaltungsmöglichkeit bietet, ist hier ein großes Problem. Wir sind uns darüber bewusst, dass Härte, Stärke und Erfolg für Männlichkeit stehen. Gewalttätiges oder aggressives Verhalten wird dementsprechend mit Sprüchen wie ‚Boys will be Boys‘ verharmlost und es wird damit gemeint, dass manche Jungen nun mal so sind - sie sind eben wilder. Abweichungen von dieser Norm werden lächerlich gemacht oder abgestraft. Die logische Folge davon ist dann, dass Männer kein breites Repertoire an Strategien haben, um mit Konflikten umzugehen. Männer weinen nicht, sie sind dagegen ‚temperamentvoll‘ oder wütend und diese Wut kann sich in Gewalt äußern. Außerdem nehmen Männer mit einem traditionellen Männlichkeitsbild nur selten professionelle Hilfe in Anspruch. Das heißt, Männer können auch eine Gefahr für sich selbst sein, da ihr Verhalten zum Beispiel dazu führen kann, dass sie seltener zum Arzt gehen. Männer sterben dreimal häufiger durch Suizid und in der Regel auch fünf Jahre früher als Frauen.

Eine Theorie, die medial immer mehr Aufmerksamkeit erhält, ist die der toxischen Maskulinität. Toxische Männlichkeit benennt ein traditionelles Männlichkeitsbild, das die Vielfalt von Männlichkeit(en) in unserer Gesellschaft nicht widerspiegelt. Zudem werden die damit verbundenen, als männlich assoziierten Verhaltensweisen adressiert, die destruktiv oder schädigend wirken können, wie zum Beispiel emotionale Distanz, Aggression, Dominanz oder sexuell übergriffiges Verhalten. Diese Gewalthandlungen können sich gegen andere Männer richten, gegen Frauen, Kinder und gegen die LGBTI*-Community, aber auch gegen sich selbst. Das bedeutet nicht, dass Männlichkeit mit toxischen Verhaltensweisen unweigerlich verknüpft ist. Toxische Männlichkeit ist also etwas, was Männer tun können, und nichts, was sie als Männer ausmacht.

Um toxische Verhaltensweisen abzubauen, ist quasi eine Neubesetzung von Männlichkeit nötig, damit die verschiedenen Facetten bzw. die Pluralität von Männlichkeiten wahrgenommen und ausgelebt werden können.

Es gibt eine Vielzahl internationaler Projekte, die sich dem Thema annehmen; sei es, um häusliche Gewalt in Ruanda oder Lateinamerika entgegenzuwirken oder durch eine Men’s Therapeutic Cuddle Group an der Lehigh University alternative Wege zum Stressabbau aufzuzeigen. Auch die Gründung von Men’s Support Groups, in der Männer über Gefühle, Probleme und Krisen reden können, kann zu einem gewissen Grad hilfreich sein, wenn die Arbeit dieser Gruppen sich nicht auf den reinen Austausch beschränkt. Diese Art der Gefühlsarbeit muss immer Hand in Hand gehen mit der praktischen Unterstützung von Feminist*innen – für einen gemeinsamen Kampf gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt.

Das Nachdenken über Männlichkeit, der Abbau destruktiver Verhaltensweisen und das Aufzeigen des Potentials vielfältiger Männlichkeitsbilder stellt eine fruchtbare Ergänzung zur direkten Hilfe und dem Empowerment von Frauen und der LGBTIQ-Community dar.


Verfasst von Laura Chlebos.