Unser Campus ist ein öffentlicher Raum, durch den sich jeden Tag eine Vielzahl von Menschen bewegt. Menschen mit unterschiedlichen Verhaltensweisen, Haltungen und Grenzen. Ein so heterogener Raum birgt das Potenzial fĂŒr Großes. Wo viele verschiedene Menschen aufeinandertreffen, kann es jedoch auch immer zu GrenzĂŒberschreitungen kommen, seien sie bewusst oder unbewusst. Denn die Hochschule ist ein Ort, an dem Probleme, die wir auch aus anderen gesellschaftlichen Bereichen kennen, zutage treten, so auch Sexismus und sexualisierte Gewalt. Im April 2018 stellte die Hochschulrektorenkonferenz fest, dass gerade an Hochschulen eine besondere Verwundbarkeit besteht – sei es durch AnonymitĂ€t, rĂ€umliche Begebenheiten oder durch AbhĂ€ngigkeitsverhĂ€ltnisse in Job und Studium.

Und wenn man genau hinsieht, erscheint Sexismus allgegenwĂ€rtig: ein ĂŒbergriffiger Kommentar im Seminarraum, ungewollter Körperkontakt im Labor bis hin zu Übergriffen auf Uni-Partys. Oftmals wirkt Sexismus aber subtil. Er fĂ€llt uns vielleicht nicht direkt auf oder wir sind verunsichert und fragen uns zum Beispiel, ob der Spruch jetzt eigentlich so schlimm war, wie er sich angefĂŒhlt hat.

Sexismus und sexualisierte Gewalt können alle betreffen: von der Reinigungskraft ĂŒber Studierende bis hin zur Dozentin. Wenn Betroffene sprechen, werden ihre Erfahrungen oft nicht ernstgenommen oder zu EinzelfĂ€llen umgedeutet. Aber spĂ€testens seit #MeToo ist klar: hinter jeder Sexismuserfahrung stehen weitere.

Über Sexismus und sexualisierte Gewalt zu sprechen, galt lange als Tabu. WorĂŒber man nicht redet, existiert auch nicht, oder? Falsch! DarĂŒber zu schweigen, hilft allein den TĂ€ter*innen. Nur eine offene Debatte, in der Betroffene zu Wort kommen und keine Angst vor möglichen negativen Folgen haben mĂŒssen, trĂ€gt zu einem respektvollen Miteinander am Arbeits- und Studienplatz bei. Man sollte annehmen, dass Hochschulen, die von einer diskriminierungsarmen AtmosphĂ€re profitieren, sich auf allen Ebenen aktiv am Abbau von Sexismus und sexualisierter Gewalt beteiligen wĂŒrden (das gilt auch fĂŒr Rassismus und andere Diskriminierungsstrukturen). Leider ist es immer noch so, dass die Themen in der Hochschule und der Wissenschaft und insbesondere der Forschung noch zu wenig Aufmerksamkeit erhalten.

Einige wenige Infos ĂŒber Erfahrungen mit Sexismus und sexualisierter Diskriminierung von Studentinnen liefert die Studie „Gender-Based Violence, Stalking and Fear of Crime“ (2009-2011):

  • 54,7 % gaben an, dass sie seit ihrer Einschreibung sexualisierte BelĂ€stigung erlebt haben
  • Frauen zwischen 18-24 Jahren sind doppelt so stark betroffen wie Frauen zwischen 35-44 Jahren
  • Die durchschnittliche Studentin ist 23,4 Jahre alt und trĂ€gt demnach ein erhöhtes Risiko, sexualisierte BelĂ€stigung und Gewalt zu erleben

Wenn wir ĂŒber Sexismus an Hochschulen reden, reicht es nicht, das Verhalten von einzelnen Personen zu betrachten. Auch die Institution Hochschule als Produzentin von Hierarchien und Diskriminierungsstrukturen muss in den Blick genommen werden. Strukturelle Diskriminierung aufgrund verschiedener Merkmale wie Klasse, EthnizitĂ€t, Hautfarbe oder GeschlechtsidentitĂ€t sind nicht bloß die negativen Eckpfeiler dieser Institution, sondern auch ihr outcome, indem Diskriminierungsstrukturen hervorgebracht und reproduziert werden. So entstehen Zugangsbarrieren, die vor allem fĂŒr migrantisierte Personen oder Menschen aus Arbeitermilieus ein Studium unwahrscheinlich machen. Wenn sie es dann doch schaffen, gelten sie immer noch als Ausnahmen, sodass sich ihre Marginalisierung fortsetzt.  

Ein Beispiel fĂŒr einen struktureller Faktor, der im Ernstfall dazu fĂŒhren kann, dass Studierende, die Erfahrungen mit sexualisierter BelĂ€stigung und Gewalt machen, sogar doppelt diskriminiert werden, ist die LĂŒcke im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (kurz AGG). Dieses verpflichtet die Arbeitgeber*innen dazu, die BeschĂ€ftigten vor verschiedenen Formen der Diskriminierung und insbesondere auch sexualisierter BelĂ€stigung zu schĂŒtzen. Übertragen auf die Hochschule wird schnell das Dilemma deutlich: ein umfassender Schutz gilt nur im Zusammenhang mit einem BeschĂ€ftigungsverhĂ€ltnis und dem Arbeitsplatz und somit nicht fĂŒr Studierende. Ein deutliches Zeichen setzen das Land Baden-WĂŒrttemberg und die Hochschulen des Landes, indem sie eine gemeinsame Resolution gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt unterzeichneten.

Jede Hochschule hat in der Regel eine eigene Richtlinie, in der sie im besten Fall darĂŒber informiert:

  • was unter Sexismus, sexualisierter BelĂ€stigung und Gewalt und anderen Diskriminierungsformen zu verstehen ist
  • wer in der Uni fĂŒr die Beratung bei einem Vorfall zustĂ€ndig ist
  • wie man Beschwerde einlegen kann und wie es danach weitergeht

Best-Practice-Beispiele fĂŒr eine solche Richtlinie findest du zum Beispiel an der Humboldt-UniversitĂ€t zu Berlin und der Goethe-UniversitĂ€t Frankfurt.

Wegen der hohen Bedeutung, die dem Studium im Hinblick auf die Berufsqualifizierung zukommt, und wegen der durch die Bologna-Reform bedingten konstanten PrĂŒfungssituation herrscht ein großer Druck, das Studium mit exzellenten Noten in der Regelstudienzeit zu absolvieren. Das Studium verlangt einem ein hohes Maß an Eigenverantwortung, ReflexionsfĂ€higkeit und Disziplin ab.
Wenn dazu noch weitere herausforderungsvolle Erfahrungen wie sexualisierte Diskriminierung und Gewalt hinzukommen, kann das nicht nur schwerwiegende Folgen fĂŒr die psychische Gesundheit, sondern auch auf den weiteren Studienverlauf haben. Neben Unsicherheiten und existenziellen Ängsten kann der erfolgreiche Abschluss gefĂ€hrdet werden. Die Lebensphase Studium entwickelt sich so von einer bedeutenden Chance zu einer schwerwiegenden Krise. 



Verfasst von Laura Chlebos.