Vielleicht liest du diesen Text gerade auf dem Weg zum Campus in der U35, weil du dringend ein Buch aus der Bibliothek brauchst. Du schaust auf von deinem Telefon und dir gegenüber sitzt jemand, der dich anguckt. Erstmal nicht weiter schlimm, denkst du, und widmest dich weiter diesem Text.

Plötzlich beschleicht dich aber ein unangenehmes Gefühl und du schaust nochmal zu der Person rüber und das Normale-in-der-Bahn-rumschauen-und-Blicke-einfangen wird plötzlich zu einem beharrlichen Starren. Du hoffst in dem Moment einfach nur, dass die Person woanders aussteigen muss als du, denn es wird langsam dunkel und du fühlst dich unwohl.


In solchen oder ähnlichen Situationen haben viele von uns schon mal gesteckt: Situationen, in denen wir nicht ausmachen konnten, ob das, was gerade passiert, ‚normal‘ ist. Egal, wie minimal die Erfahrung dir in diesem Moment vorkommt, sobald du dich im Kontakt mit einer anderen Person durch ihr Verhalten unwohl fühlst, wurde deine persönliche Grenze verletzt.
Oft verstehen wir auch erst im Nachhinein, dass uns eine Situation überfordert oder gestresst hat, wenn du dich z. B. fragst, wieso immer du in der Fachschaftssitzung von deinen männlichen Kommilitonen unterbrochen wirst. Liegt es vielleicht daran, dass du als Frau etwas Natur- oder Ingenieurwissenschaftliches studierst und dir weniger Expertise zugetraut wird? Wieso klatschen und pfeifen eigentlich die Kommiliton*innen, wenn du den Hörsaal betrittst – bei den männlichen Kommilitonen aber nicht?

Der Begriff Sexismus beschreibt eine Grundhaltung, die Täter*innen gegenüber dem gesellschaftlichen Zusammenleben einnehmen, nämlich, dass man Menschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität unterschiedlich behandelt, indem man vor allem Frauen, queere und nonbinäre Menschen abwertet und herabwürdigt. Sexualisierte Gewalt und Belästigung ist dabei oft die Folge dieser Einstellung.

Sexistisches Verhalten ist im Hochschulkontext genauso alltäglich wie in allen anderen Bereichen des Lebens. Die Grenzen zu sexualisierter Gewalt und Belästigung sind fließend. War es eben noch ein abwertender Kommentar gegenüber der Kommiliton*in im Labor oder der Bib, so kann es im nächsten Schritt schon zu einer übergriffigen Textnachricht mit explizitem Inhalt oder sogar ungewolltem Anfassen kommen.

Wer dann sagt: ‚Hey, ich möchte das nicht!‘, wird oft belächelt, man solle sich nicht so anstellen, es war doch nur ein Scherz. Für die Betroffenen in diesen Situationen ist es jedoch kein Scherz, sondern kann verletzen, Angst machen und im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Betroffenen sich mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Wer schon mal abends auf dem Campus allein unterwegs war und von Einzelnen oder einer Gruppe von Männern bedroht wurde, von Hinterherrufen und -pfeifen bis Hinterherlaufen und ungewolltem Angefasstwerden, die*der weiß, dass sie*er denselben Weg nicht mehr locker und entspannt gehen wird. Dabei erfahren nicht nur Frauen sexualisierte Belästigung und Gewalt, sondern insbesondere auch trans, inter und queere Menschen und Menschen, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen können oder wollen. Aber auch cis- Männer können von sexualisierter Belästigung und Gewalt betroffen sein, vor allem, wenn sie nicht der männlichen Norm entsprechen können oder wollen.


Grundsätzlich sollte klar sein: Es geht in den beschriebenen Beispielen nicht ums Flirten, sondern um Belästigung, der eine Demonstration von Macht zugrunde liegt.

Flirten und das Machen von Komplimenten sollten auf Augenhöhe stattfinden, wenn beide Beteiligte dies als angemessenes Verhalten empfinden. Ungefragte Kommentare zum Aussehen einer Person wie zum Beispiel ‚Wow, toller Ausschnitt‘ oder ‚Du kannst dich bestimmt vor Angeboten kaum retten‘ gehören definitiv nicht dazu.

  • Ungefähr 60 % aller Frauen in Deutschland haben seit ihrem 15. Lebensjahr bereits eine Form von sexualisierter Diskriminierung erlebt (vgl. Sexuelle Belästigung im Hochschulkontext, Expertise 2015, S. 10). 
  • Unter weiblichen Studierenden sind es 54,6 %, die von sexistischen Übergriffen und sexualisierter Belästigung bis hin zu sexualisierter Gewalt in ihrer Studienzeit betroffen waren.
  • Ein Drittel dieser Erfahrungen stammen aus dem Umfeld der Hochschule, wobei die Täter*innen aus den Gruppen der Kommiliton*innen, der Lehrenden und des Hochschulpersonals kommen.
  • Sowohl bei belästigendem Verhalten als auch bei sexualisierter Gewalt sind die Täter*innen zu 96-97 % männlich (ebd., S. 11). [Siehe auch Sexismus im Hochschulkontext]

Diese Zahlen sind insofern nicht überraschend, als dass die traditionelle Vorstellung von Männlichkeit und der männlichen Geschlechterrolle mit Stärke, Gewalt und Wut einhergeht, wohingegen Empathie und der Ausdruck von Emotionen beispielsweise durch Weinen als unmännlich verstanden werden. [Siehe auch Männlichkeit(en)]


Queere Menschen erfahren oft eine besondere Form von Sexismus, den sogenannten Heterosexismus.

Wenn Personen einem heteronormativen Lebensstil nicht entsprechen, weil zum Beispiel zwei Frauen oder zwei Männer gemeinsam ein Kind als Familie aufziehen oder heiraten, können sie Zielscheibe von abwertendem Verhalten oder Kommentaren werden. Hetero zu sein, auf das ‚andere‘ Geschlecht zu stehen, stellt immer noch die gesellschaftliche Norm dar, genauso wie die heteronormative Kleinfamilie. Eine plurale und offene Gesellschaft, in der jede*r lieben kann, wenn sie*er möchte, und sein kann, wer sie*er sein möchte, unabhängig von der Geschlechtsidentität, ist ein ebenso wichtiges Ziel des Kampfes gegen Sexismus.
Ein verbreiteter Begriff, der auch Cis-Sexismus mit umfasst, ist Queerfeindlichkeit. Da Queerfeindlichkeit noch viele weitere Aspekte einschließt, wird sich hier lediglich auf die zuvor definierte Sexismusdefinition bezogen.


Sexistisches Verhalten dient oft als eine Art „Platzverweis“, indem Täter*innen eine einseitige und unangenehme Situation schaffen.

Auch unter Studierenden selbst, wo die Trennung zwischen „professionell zusammenarbeiten“ und „privat Beziehungen aufbauen“ nicht dringend gewünscht ist, ist es manchmal schwieriger, Grenzen und persönlichen Raum abzustecken und zu kommunizieren. Immerhin schließen auch viele Studierende in der Uni Freund*innenschaften fürs Leben oder verlieben sich.


Letztendlich sind wir also in der Position zu handeln: Das heißt, einen wertschätzenden und persönlichen Umgang miteinander zu pflegen, indem wir die Grenzen unserer Gegenüber erfragen und respektieren!
Wer an der Uni sexualisierte Diskriminierung, Belästigung oder Gewalt erlebt, kann sich an die allgemeine Gleichstellungsbeauftragte, an Vertrauensdozent*innen oder andere Vertrauenspersonen wenden. Alle Informationen werden vertraulich behandelt und Entscheidungen werden nie ohne die Zustimmung der Betroffenen getroffen.
Auf dieser Seite findest du alle Informationen zu Hilfestrukturen an der RUB!


Verfasst von Alina Adrian.