Gleichgewichte linearer Differentialgleichungen

Für homogene lineare Differentialgleichungen

\(\vec{x}'(t)=A(t)\vec{x}(t)\)

ist \(\vec{x}=\vec{0}\) immer eine Ruhelage, d.h. man findet immer die konstante Lösung \(\vec{x}(t)\equiv \vec{0}\). Die asymptotische Stabilität lässt sich hier mit Hilfe der Eigenwerte von \(A\) charakterisieren.

Satz:

Falls die Eigenwerte der \(n\times n\)-Matrix \(A\) alle negativen Realteil haben, dann konvergieren alle Lösungen der Differentialgleichung

\(\vec{x}’(t)=A\vec{x}(t)\)

für \(t\to \infty \) gegen die Ruhelage $\vec{x}=\vec{0}$, d.h. für jeden Anfangswert $\vec{x}_0\in \mathbb {R}^ n$ ist

\( \lim\limits_{t\to\infty}\vec{x}(t)=\vec{0}.\)

Bemerkung

Man kann auch die folgende stärkere Aussage zeigen: Wenn der Realteil aller Eigenwerte von \(A\) kleiner ist als $-\kappa $ mit $\kappa >0$, dann konvergieren die Lösungen mindestens so schnell gegen $0$ wie die Funktion \(e^{-\kappa t}$\). Etwas formaler ausgedrückt: Zu jedem Anfangswert gibt es eine Konstante $C>0$, so dass die Lösung $\vec{x}(t)$ zum Anfangswert $\vec{x}(0)=\vec{x}_0$ die Abschätzung

$|\vec{x}(t)|\leq Ce^{-\kappa t}$

erfüllt.

Begründung: Seien $\lambda_1,\dots , \lambda_k$ die reellen Eigenwerte von \(A\) und \(\alpha _1\pm i\omega _1,\ldots , \alpha_m\pm i\omega_m\) die komplexen Eigenwerte von $A$. Nach dem Exponentialansatz ist jede Lösung von der Form

$\vec{x}(t)=\sum\limits_{j=1}^ke^{\lambda_j t}\vec{p}_j(t)+\sum_{j=1}^me^{\alpha_j t}\left(\cos(\omega_j t)\vec{q}_j(t)+\sin(\omega_jt)\vec{r}_j(t)\right)$

wobei die $\vec{p}_ j$ vektorwertige Polynome (also Vektoren, deren Komponenten jeweils Polynome sind) sind, deren Grad höchstens so groß ist wie die algebraische Vielfachheit des Eigenwerts $\lambda _ j$. Analog sind auch $\vec{q}_ j$ und $\vec{r}_ j$ vektorwertige Polynome, deren Grad höchstens der algebraischen Vielfachheit des Eigenwerts $\alpha _ j+i\omega _ j$ entspricht. In jedem Fall wird das Verhalten der Lösung für $t\to \infty $ allein durch die exponentiell abfallenden Terme $e^{\lambda _ j t}$ und $e^{\alpha _ j t}$ bestimmt. Sie sorgen dafür, dass die Lösung gegen $\vec{0}$ konvergiert. ❑

Satz:

Falls die \(n\times n\)-Matrix \(A\) (mindestens) einen Eigenwert mit positivem Realteil besitzt, dann ist die Ruhelage \(\vec{x}=\vec{0}\) der Differentialgleichung

\( \vec{x}’(t)=A\vec{x}(t)\)

instabil.

Begründung: Das Argument ist ganz ähnlich wie im Beweis des vorigen Satzes. Sei $\mu $ ein Eigenwert von $A$ mit positivem Realteil. Wir nehmen zunächst an, dass $\mu >0$ reell ist und $\vec{w}$ der zugehörige Eigenvektor ist. Dann ist für jedes noch so kleine $\delta >0$ die Funktion

$\vec{x}(t)=\delta\vec{w}e^{\mu t}$

die Lösung der Differentialgleichung zur Anfangsbedingung $\vec{x}(0)=\delta \vec{w}$. Für kleines $\delta $ liegt die Anfangsbedingung beliebig nahe bei $\vec{0}$, denn

$|\vec{x}(0)|=\delta|\vec{w}|$

Andererseits gilt für $t\to \infty $:

$|\vec{x}(t)|=\underbrace{\delta|\vec{w}|}_{\text{konstant}}\underbrace{e^{\mu t}}_{\text{wächst exponentiell}}\to\infty.$

Den Fall, dass $A$ zwei komplexe Eigenwerte $\mu $ und $\bar{\mu }$ mit positivem Realteil und zugehörigen Eigenvektoren $\vec{w}$ sowie $\bar{\vec{v}}$ hat, kann man auf ähnliche Weise behandeln.