Beispiel: algebraisch doppelter Eigenwert

Beispiel:

Schauen wir uns an, wie man konkret vorgehen kann, wenn man einen algebraisch doppelten Eigenwert $\lambda$ findet, der aber geometrisch einfach ist, d.h. man findet nur einen linear unabhängigen Eigenvektor $\vec{v}$. Dann ist auch

$(A-\lambda E_ n)^2\vec{v}=(A-\lambda E_n)\underbrace{\left((A-\lambda E_ n)\vec{v}\right)}_{=\vec{0}}=\vec{0}$,

aber der vorige Satz sagt, dass es noch eine weitere, linear unabhängige Lösung der Gleichung $(A-\lambda E_ n)^2\vec{w} =\vec{0}$ geben muss.

Da es keinen weiteren Eigenvektor gibt, muss $(A-\lambda E_ n)\vec{w}\neq \vec{0}$ sein.

Eine Möglichkeit, einen solchen Vektor $\vec{w}$ zu bestimmen, besteht darin, $\vec{w}$ so zu wählen, dass $(A-\lambda E_ n)\vec{w}=\vec{v}$ ist. Dann ist

$(A-\lambda E_ n)^2\vec{w}=(A-\lambda E_ n)\left((A-\lambda E_ n)\vec{w}\right)=(A-\lambda E_ n)\vec{v}=\vec{0}$.

Einen solchen Vektor $\vec{w}$ nennt man einen Hauptvektor oder verallgemeinerten Eigenvektor. Wenn man $\vec{w}$ so wählt, lauten die zugehörigen Lösungen der Differentialgleichung

\( \vec{x}_1(t)=e^{\lambda t}\left(\vec{v}+t\underbrace{(A-\lambda E_n)\vec{v}}_{=\vec{0}}\right)=e^{\lambda t}\vec{v} \)

und

$\vec{x}_2(t)=e^{\lambda t}\left(\vec{w}+t\underbrace{(A-\lambda E_n)\vec{w}}_{=\vec{v}}\right)=e^{\lambda t}\vec{w}+te^{\lambda t}\vec{v}$


Dieses allgemeine Vorgehen soll nun für eine konkrete Matrix A dargestellt werden.

Beispiel:
Gesucht ist die allgemeine Lösung der Differentialgleichung

\( \vec{x}'(t)=\left(\begin{array}{ccc}8&-3&-2\\5&0&-2\\7&-4&0\end{array}\right)\vec{x}(t)\,=\,A\vec{x} \)

Die Eigenwerte von A sind die Nullstellen des charakteristischen Polynoms

\( \chi_A(\lambda)=-\lambda^3+8\lambda^2-21\lambda+18=(3-\lambda)^2(2-\lambda), \)

also ist $\lambda _1=2$ ein einfacher und $\lambda _2=\lambda _3=3$ ein algebraisch doppelter Eigenwert.

Die zugehörigen Eigenvektoren sind

\(\vec{v}_1=\left(\begin{array}{c}2\\2\\3\end{array}\right)\) zum Eigenwert \(\lambda_1=2\) und $\vec{v}_2=\left(\begin{array}{c}1\\1\\1\end{array}\right)$ zum Eigenwert \( \lambda_2=3.\)


Der algebraisch doppelte Eigenwert $\lambda _2=3$ ist also geometrisch nur einfach. Wir benötigen daher einen Hauptvektor $\vec{v}_3$, der die Gleichung $(A-3\cdot E_3)\vec{v}_3=\vec{v}_2$ löst. Ein solcher Vektor ist

$\vec{v}_3=\left(\begin{array}{c}1\\0\\2\end{array}\right)$


Damit haben wir mit Hilfe der oben durchgeführten Überlegungen ein Fundamentalsystem

$\{\vec{v}_1e^{2t},\vec{v}_2e^{3t},\vec{v}_3e^{3t}+\vec{v}_2te^{3t}\}$

gefunden. Jede Lösung der Differentialgleichung ist daher von der Form

$\vec{x}(t)=C_1\vec{v}_1e^{2t}+C_2\vec{v}_2e^{3t}+C_3(\vec{v}_3e^{3t}+\vec{v}_2te^{3t})=C_1\vec{v}_1e^{2t}+(C_2+C_3t)\vec{v}_2e^{3t}+C_3\vec{v}_3e^{3t}$

wobei für die Lösung eines Anfangswertproblems die Konstanten $C_1$, $C_2$ und $C_3$ durch Lösen eines linearen Gleichungssystems bestimmt werden können.