Lektion 1: Der verfolgte Prophet (Seite 3)

Am stärksten leuchtet das Motiv des leidenden Propheten im Gleichnis von den bösen Winzern auf (Mk 12,1-12 parr.)

Markus hat das Gleichnis dort platziert, wo unmittelbar vor der Passion nach der Tempelaktion die letzten Auseinandersetzungen zwischen Jesus und seinen Gegnern gespiegelt werden, die sich im Kern um die Autorität Jesu drehen: „Mit welchem Recht tust du das?“ (Mk 11,28).

Markus hat durch seine Kontextualisierung die Bezüge zum Weinberglied des Jesaja aufgewertet (Jes 5,1-7), aber auch die Verschiebung der Perspektive betont, die in der Auslegung oft übersehen worden ist. In Jes 5 ist der Weinberg ein Symbol für Israel, das Volk Gottes. So verwendet es auch Markus – im Duktus des Gleichnisses selbst. Im jesajanischen Lied ist der Weinberg selbst das Problem, also Israel. Der Prophet erzählt von einem Freund, der alles getan hat, damit der Weinberg Frucht bringt, aber nur saure Trauben erntet – und deshalb den Weinberg zerstört. 

In jesuanischen Gleichnis ist nicht der Weinberg das Problem: Er bringt Frucht. Das Problem sind die Pächter, die den fälligen Pachtzins verweigern. Deshalb müssen sie ausgetauscht werden. Das Gleichnis spielt bis in die Terminologie hinein mit der Sendung der Knechte auf die Sendung der Propheten an – und mit ihrer gewaltsamen Ablehnung durch die Pächter auf das Leiden der wahren Propheten. Bei Markus ist dieser Zusammenhang durch die Einbindung des Gleichnisses in den Kontext des gesamten Evangeliums noch verstärkt. 

Die Sendung des „geliebten Sohnes“ schließt die Reihe der prophetischen Sendungen ab. Die Sendung des Sohnes liegt in der Logik der Geschichte, die – wie viele gute Gleichnisse – die Grenzen der Wahrscheinlichkeit streift. Denn die Boten sind als Gesandte Repräsentanten des Herrn; der denkbar höchste Repräsentant aber ist der eigene Sohn. Der „Sohn“ ist definitiv der letzte in der Reihe der Gesandten. Es gibt keine Steigerungsmöglichkeit mehr. Die nächste Stufe der Eskalation ist nur das Kommen des Besitzers selbst. Der „Sohn“ ist als „geliebter“ eingeführt: Er ist der einzige Sohn. Bei Markus ist dieses Attribut mit der Christologie der Gottessohnschaft Jesu verknüpft (Mk 1,9ff. parr.; 9,2-8 parr.; vgl. 15,34). 

Das Gericht ist unausweichlich; das Gleichnis erlaubt – und fordert – eine irritierende Drastik. Nicht der Weinberg wird zerstört, sondern die Winzer werden ausgewechselt. Im Markuskontext: Nicht die Hohenpriester und Schriftgelehrten führen Israel, sondern diejenigen, die es mit dem Sohn und durch ihn mit dem Herrn halten. 

Markus hat das Gleichnis von den Winzern mit dem Bild des Ecksteins abgerundet, das von einer anderen Seite her das Drama der Heilsgeschichte beleuchtet. Das Eckstein-Motiv geht auf Ps 118,22f. zurück: das Danklied eines Geretteten, der einen geretteten Retter feiert. Das Eckstein-Motiv ist in der österlichen Theologie stark geworden (Apg 4,11Eph 2,20f.; 1Petr 2,6f.). Die ekklesiologische Pointe passt zur Parabel und vernetzt sie mit der neutestamentlichen Israel-Theologie: nicht Substitution, sondern Transformation.



Die theologische Pointe des Propheten Motivs zeichnet sich im Rahmen einer Heilsgeschichte Israels ab (vgl. moralische Dimension), hat also neben den personalen und moralischen immer auch ekklesiologische Dimensionen. 

Israel hat „immer schon“ und „durchweg“ die Propheten, die Gott seinem Volk gesendet hat, nicht gehört, sondern verfolgt und gar getötet. Die echten Propheten sind „immer schon“ nicht auf breite Zustimmung gestoßen, sondern ins Leiden und selbst ins Sterben geführt worden.

Im gewaltsamen Geschick der Propheten spiegelt sich das Drama der Beziehung Gottes zu seinem Volk. Konflikte sind unausweichlich, wenn wirklich Gottes Wort das Ohr von Menschen trifft: Alle müssen überwunden werden, um zu Hörern des Wortes zu werden, zuerst die Propheten selbst. Gäbe es keinen Widerstand, wäre es nicht Gottes Wort. Das Nein zu den Propheten ist aber kein Verhängnis, sondern Schuld, die inmitten starker Belastungen das Gewicht der Sünde erhöht. Die Propheten ertragen diese Schuld als Leid, weil sie mit ihrer ganzen Person, mit ihrem Leben für das Wort eintreten, das sie auszurichten haben. 

Die theologische Leistungsfähigkeit des Motivs ist hoch. Dreierlei kann deutlich werden: 

  • Jesu Leiden ist die Konsequenz seiner prophetischen Sendung durch Gott. 
  • Jesu Leiden unterstreicht die Legitimität seines Anspruchs.
  • Jesu Leiden ist wie sein Wirken auf das Gottesvolk ausgerichtet - in Gericht und Heil.

Allerdings werden auch Grenzen deutlich: Das Leiden des Propheten trägt keinen eigenen Sinn. Der verfluchte Kreuzestod ist nicht erfasst. 



あなたは 9% のレッスンを完了しました。
9%