Lektionen
Meist erwarten Sie zwischen drei und vier Repetitionsfragen und ebenso viele Modulfragen.
Inhalt dieses Lektionenpaketes:
- Das Motiv des verfolgten Propheten
- Das Motiv des leidenden Gerechten
- Das Motiv des leidenden Gottesknechts
- Das Motiv der Sühne
- Das Motiv der Erlösung
Am Ende der 5 Lektionen stehen Repetitionsfragen zum gesamten Modul.
Repetitionsfragen zum Gesamtmodul:
- Welche Gemeinsamkeiten gibt es in den verschiedenen Deutungsmotiven des Neuen Testaments zum Tod Jesu?
- Welche Unterschieden gibt es zwischen es den verschiedenen Deutungsmotiven des Neuen Testaments zum Tod Jesu?
- Wo können die Motive einander ergänzen? Wie stehen sie in Spannung zueinander?
Lektion 2 - Das Motiv des leidenden Gerechten
Markus zeichnet in der Passionsgeschichte Jesus als leidenden Gerechten – mit Ps 22 im Hintergrund (Mk 15,34).
Matthäus ist ihm darin gefolgt (Mt 27,46). Lukas hat variiert, indem er Ps 31,6 als Todesgebet Jesu darstellt (Lk 23,46). Neben der Passionsgeschichte ist es vor allem das „Muss“ des Leidens Jesu, das sich im Horizont des Geschicks vom leidenden Gerechten erklärt (Mk 8,31parr.; Lk 24,26). Das Alte Testament zeichnet in den Psalmen (Ps 22; 31; 34; 69; 140) und Weisheitsbüchern (Weish 2,12-20) in der Figur des leidenden Gerechten einen ebenso irritierenden wie charakteristischen Urtyp: eines Menschen, der leidet, weil er in einer ungerechten Welt gerecht ist, aber in seiner Qual nicht von Gott lässt – und schließlich auch von Gott gerettet wird.
Ps 22[1]zeichnet einen langen spirituellen Weg von der Klage der Gottesverlassenheit (Ps 22,1-19) über die Bitte (Ps 22,20ff.) zum Lob ob der erfahrenen Hilfe (Ps 22,23-32).
Ähnlich ist Ps 69 aufgebaut: Klage (Ps 69,1-13) – Bitte (Ps 69,14-19) – Dank (Ps 69,33-37), allerdings nicht ohne den Schrei nach Rache (Ps 69,20-32). Ps 31 und 34 bringen wie Ps 140 ein angefochtenes, aber durchgehaltenes Gottvertrauen zum Ausdruck.
Weish 2,12-20 (vgl. 5,1-5) lässt die Spötter zu Wort kommen, die nichts auf Gott geben und deshalb auch den Menschen verraten; sie wollen dadurch, dass sie den Gerechten quälen, zeigen, dass er kein Liebling, kein „Sohn“ Gottes ist.
Die Figur des Leidenden Gerechten beantwortet nicht die Theodizeefrage[2], aber hält dafür, dass es ein richtiges Leben mitten im falschen gibt: kein glückliches, aber ein geglücktes, weil das Gottvertrauen zwar aufs äußerste herausgefordert wird angesichts unschuldigen Leidens, aber auch bewährt werden kann.
Jesus hat in den Seligpreisungen (Lk 6,20-23 par. Mt 5,3-12)[3]seinen Jüngern die Verfolgung um Gottes willen prophezeit, aber verheißen, dass Gott unverrückbar auf der Seite der Gerechten steht. Jesus selbst hat in Gethsemane in Todesnot gebetet, wie ein Gerechter nur beten kann (Mk 14,32-42 parr.)[4]. Dieses Gebet kann zwar kein O-Ton Jesu sein, ist aber genau auf das Vaterunser abgestimmt und fängt insofern ein, dass Jesus sich als Gerechter Gott anvertraut hat, in der Erwartung dessen, was auf ihn zukommen sollte.
Markus hat die Kreuzigung Jesu in den Farben von Ps 22 dargestellt.
Mk 15,24 |
Sie verteilten seine Kleider, indem sie das Los über sie warfen, wer was nähme. |
Ps 22,19 |
Mk 15,29 |
Sie schüttelten ihre Köpfe … |
Ps 22,8 |
Mk 15,32 |
Die mit ihm Gekreuzigten schmähten ihn. |
Ps 69,10 |
Mk 15,34 |
„Eloi, Eloi, lema sabachthani“ |
Ps 22,2 |
Mk 15,36 |
Einer lief herbei, füllte einen Schwamm mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr, um ihm zu trinken zu geben, … |
Ps 69,22 |
Ps 22 wird von rückwärts nach vorwärts eingespielt: Während das alttestamentliche Gebet vom Klageschrei ausgeht, um dann Schritt für Schritt den Abgrund der Gottverlassenheit freizulegen (Ps 22,2-19), bevor es zum Guten sich wendet, zur Rettung des Verlorenen (Ps 22,20ff.23-32), notiert die Passionsgeschichte mit Hilfe des Psalms, den es nur im ersten Teil, der Klage, aufnimmt, demütigende Details der Hinrichtung: die Verteilung der Kleider (Mk 15,24 – Ps 22,19) und die Lästerungen (Mk 15,29 – Ps 22,8), um dann aber Jesus das Wort zu geben: Der erste Gebetsvers von Ps 22 ist sein letztes Wort (Mk 15,34), das auch noch einmal verdreht werden wird (Mk 15,35), bevor einer der Umstehenden seine Todesqual durch eine zynische Form von Mildtätigkeit verlängern will (Mk 15,36 – Ps 69,22).
Lukas hat durch den Wechsel zu Ps 31 unterstrichen, dass Jesus sich am Ende mit seinem Tod versöhnt hat und deshalb auch am Kreuz versöhnen kann, die ohne ihn unversöhnt sterben würden: die Henker (Lk 23,34) und den Schächer zur Rechten (Lk 23,43), auch den heidnischen Hauptmann (Lk 23,47).
Das „Muss“ des Leidens ist in der Sprache der Bibel nicht Ausdruck eines göttlichen Diktates, dem Jesus sich beugt, gar einer Forderung Gottes, die Jesus erfüllen muss, sondern die Aufdeckung eines paradoxen Zusammenhanges: In einer ungerechten Welt „muss“ der Gerechte leiden, sonst wäre er nicht gerecht. Gerade dieses Leiden erweist seine Gerechtigkeit – so wie die Auferstehung dann die Gerechtigkeit Gottes erweist.
Die theologische Pointe:
Der Gerechte leidet wegen seiner Gerechtigkeit in einer ungerechten Welt. In aller Not hält er, klagend, an seinem Gott fest. Gott lässt seinen Gerechten nicht zuschanden werden, sondern rettet ihn.
Durch das Motiv des leidenden Gerechten kann dreierlei gezeigt werden:
- Jesus, obgleich verurteilt, ist unschuldig und gerecht.
- Jesus leidet, weil seine Verfolger schuldig sind.
- Jesu Auferweckung erweist sich als Rechtfertigung des Gerechten.
Der leidende Gerechte nimmt das Leiden an – in der Hoffnung wider Hoffnung, dass Gott es zum Guten wendet.
[1]Vgl. D. Sänger (Hg.), Ps 22 und die Passionsgeschichten der Evangelien (BThSt 88), Neukirchen-Vluyn 2007.
[2]Vgl. Th. Söding, „Ist Gott etwa ungerecht?“ (Röm 3,5). Die Theodizeefrage im Neuen Testament, in: Michael Böhnke u.a., Leid erfahren – Sinn suchen. Das Problem der Theodizee (Theologische Module 1), Freiburg - Basel - Wien 2007, 50-68.
[3]Vgl. Th. Söding, Die Verkündigung Jesu – Ereignis und Erinnerung, Freiburg - Basel - Wien 22012, 185-220.
[4]Vgl. R. Feldmeier, Die Krisis des Gottessohnes. Die Gethsemane-Erzählung als Schlüssel der Markuspassion (WUNT II/21), Tübingen 1987.