Lektion 3 - Das Motiv des leidenden Gottesknechts

BuĂźgebet und Abendmahl

Die Motive des leidenden Gerechten und des leidenden Propheten können das Gottesverhältnis und die Sendung Jesu so erhellen, dass die Passion nicht als Widerspruch, sondern als Konsequenz seiner Messianität erscheint, die der Rettung Israels und aller Welt dient. Sie können aber nicht dem Tod Jesu selbst Heilsbedeutung zuschreiben. Andere Motive können das; sie sind deshalb theologisch tragfähiger und hermeneutisch umstrittener. Das Opfer des leidenden Gottesknechtes ist ein wichtiges Beispiel; Sühne (Lektion 4) und Lösegeld (Lektion 5) sind weitere neutestamentliche Belege.


Alttestamentlicher Basistext ist Jes 53, das Vierte Lied vom Gottesknecht. Eine direkte Referenz im Neuen Testament ist 1Petr 2,21-24. Dort wird die Gewaltlosigkeit Jesu als inneres Moment seines Heilsdienstes besprochen. Auf diese Weise kommt das Ethos der Soteriologie zum Ausdruck: nicht durch Gewalt, sondern durch Leiden, nicht durch Rache, sondern durch Hingabe, nicht durch Vergeltung, sondern durch Opfer. 

Bei anderen Texten ist der Bezug auf Jes 53 zwar strittig, aber wesentlich:

  • in der Herrenmahlstradition (Mk 14,24: „... Blut … , vergossen fĂĽr viele“; Mt 26,28: „… zur Vergebung der SĂĽnden“),
  • in Glaubensbekenntnissen (1Kor 15,3-5: „... fĂĽr unsere SĂĽnden gestorben“; Röm 4,25: „hingegeben unserer Ăśbertretungen wegen, auferweckt unserer Rechtfertigung wegen“),
  • im Glaubenszeugnis des Täufers (Joh 1,29: „Seht, das ist das Lamm Gottes, das hinwegträgt die SĂĽnde der Welt“).

Der Basistext Jes 52,13 – 53,12[1]ist ein vielstimmiges Lied, das in Form eines BuĂźgebetes Gott fĂĽr eine Erlösung dankt, die durch das Opfer (victima) den Tätern zugutekommt, weil er sein Leben als Opfer (sacrificium) hingibt.[2]

Es ist das letzte von vier Gottesknechtliedern, die das Leben und Sterben eines Propheten besingen (Jes 42,1-949,1-950,4-9). 

Es ist als Wechselgesang aufgebaut.

Jes 52,12ff.

Die Präsentation des Knechtes durch Gott

Jes 53,1-11a

Der Bericht der Täter

- ĂĽber ihre Tat, die Erniedrigung  des Knechtes, den sie ĂĽr einen Verworfenen hielten (53,1-9)

- ĂĽber die Erhöhung des Knechtes durch Gott                                 (53,10.11a)

Jes 53,11b-12

Das abschlieĂźende Urteil Gottes ĂĽber den Knecht


Der Prophet Jesaja, der ideale Autor, weiĂź, was Gott im Sinn hat und was die Israeliten bewegt. Er schlieĂźt sich mit den Tätern zusammen („Wir“). Aber er behält die Offenheit Gottes. 

Der leidende Gottesknecht erträgt sein ungerechtes Leiden nicht nur, sondern nimmt es an, um es zum Guten zu wenden. Es soll zum Mittel der Versöhnung werden – und Gott verwirklicht diese Intention des Knechtes. DafĂĽr steht das Opfer (Jes 53,10). Die EinheitsĂĽbersetzung sieht es – wie viele evangelische Theologen – als „SĂĽhnopfer“, das stellvertretend die Strafe fĂĽr eine Schuld auf sich nimmt.

Eher aber ist an ein „Sündopfer“ gedacht (z.B. Lev 4,13-26), das die tödliche Macht der Sünde darstellt: Sie kommt am Tier zur Auswirkung, so dass der Täter von der Last seiner Schuld befreit wird.[3]

Das Opfer ist, so oder so, nicht der Preis, den Menschen bezahlen, um Gott zu besänftigen, sondern eine Gabe, die sie darbringen können, um sich ehrlich zu machen, weil er ihnen diesen Weg öffnet. 

Der leidende Gottesknecht erlebt zwar Gewalt, nimmt sie aber in sein Gottesverhältnis hinein und lässt es so den Tätern zugutekommen. Durch Jes 53 geschieht eine Humanisierung der Vergebung, die MaĂźstäbe setzt, auch wenn die Identität des Gottesknechtes unklar bleibt.[4]So wird das Leiden nicht gottgefällig, aber auf die Bitte seines Knechtes hin von Gott zum Guten gewendet, fĂĽr das Opfer und fĂĽr die Täter. 

Jes 53 ist im Alten Testament ein Solitär, hat aber eine schwache Resonanz in der frühjüdischen Märtyrertheologie gefunden, vielleicht erst nachneutestamentlich (4Makk 6,27ff.; 17,21f.). Hier ist der Einfluss eines griechischen Motivs vom „edlen Tod“ zu spüren, den ein Held für andere auf sich nimmt.[5]


Die theologische Pointe:

Der ungerecht Leidende nimmt das ihm zugefĂĽgte Unrecht vor Gott auf sich, damit die Ăśbeltäter, die es verursacht haben, nicht bestraft werden. Auf diese Weise wird das Leiden selbst zum Mittel des Heiles fĂĽr die SĂĽnder. Gott steht zu seinem leidenden Knecht, indem er sein Leiden als SĂĽndopfer annimmt. 


Die theologische Leistungsfähigkeit:

Das „FĂĽr“ ist der Grundzug des Sterbens wie des Lebens Jesu. Er hat keine Grenze. Der Tod steht fĂĽr das Definitive der Zuwendung. Das Leiden Jesu hat in seiner Proexistenz und Theozentrik Heilsbedeutung, insofern er SĂĽhne fĂĽr die SĂĽnde als Voraussetzung der Vergebung leistet.

Weil Jesus der Sohn Gottes ist, kann sein Tod universale und eschatologische Vergebung schaffen. 



[1]Eine klassische Literarkritik E. Haag, Der Gottesknecht bei Deuterojesaja (EdF 233), Darmstadt 1985.

[2]Vgl. B. Janowski – Peter Stuhlmacher(Hg.), Der leidende Gottesknecht. Jes 53 und seine Wirkungsgeschichte (FAT 14), TĂĽbingen 1996.

[3]Vgl. A. Schenker, Die Anlässe zum Schuldopfer Ascham, in: Studien zu Opfer und Kult im Alten Testament (FAT 3), TĂĽbingen 1992, 45-66.

[4]Vgl.H. Spieckermann, Gottes Liebe zu Israel (FAT 33), TĂĽbingen 2001, 141-153

[5]Vgl. J.-W. van Henten - Friedrich Avemarie, Martyrdom and NobleDeath. Selected Texte from Graeco-Roman, Jewish and Christian Antiquity, London 2002. So im Beispiel eines Reisegefährten des Aeneas bei Vergil (Aen. 5,815): unum pro multis dabitur caput. 



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