Philipp Nicolai hat dieses Lied 1599 mit seinen sieben Strophen mitten in der Pestzeit verfasst. Die „neue Frömmigkeit“ soll anhand der uns zwei vorliegenden Strophen IV und V bestimmt werden. Anschließend stellen wir uns der Frage, ob wir das Lied als evangelisch empfinden. Beide Strophen beginnen in der Abfolge jeweils zuerst mit Gott und dann dem Herrn Jesus.
Die Pestepidemie wütet, die Menschen sind schwarzbeulig gezeichneten, in ihren Augen Not und Schmerzen. Große Bevölkerungsteile werden dahingerafft.
Die Betonung der unio mystica wird m.E. auf dem Hintergrund dieser weltlichen Katastrophe noch verständlicher. Der Ausgangspunkt liegt bei Gottes Freudenschein, er schenkt den Blick in Gottes freundliche Augen, er nimmt in seine Arme, als starker Held nimmt er den Gläubigen aus diesem elendigem Welt (-Pest)-Geschehen hinaus und führt ihn hinauf zu sich in sein himmlisches Leben. Spricht hier der Gedanke der Erwählung?
Jeweils im zweiten Teil beider Strophen geht es um die Beziehung zu dem Herrn Jesus. Auch schon bei den Gottesaussagen finden sich personifizierte Vorstellungen.
„Dein Sohn hat mich jhm selbst vertrawt“ als geheimnisvolles Geschehen: Ansprache an Gott, dass sein Sohn selbst sich mit dem Menschen in eine geheimnisvolle Beziehung setzt, der Antrag zur spirituellen Ehe kommt von Jesus, der Mensch willigt ein und bezeichnet nun Jesus als seinen Schatz und sich selbst als Braut. Mystische Liebesaussage. Als Wirkung dieser Seele-Jesus Vereinigung erfolgt eine Art dreifache Erhöhung: sehr hoch in jhm erfreuwet, dann Himmlisch Leben […] mir dort oben, aus dem Hier und Jetzt in das Jenseits hinein, ein Leben entrückt von der Erde in den Himmel, und Ewig soll mein Hertz jhn loben zuletzt Anteil am durch die mit Jesus vertraute Seele zum ewigen Leben, entsprechend wird das Herz ewig loben.
Der Geist findet zwischen Jesu Wort sowie Brot und Wein seinen Ort und wird nur einmalig erwähnt. Erstaunlich, denn man vermutet in der Abfolge der Strophen gemäß trinitarischer Entfaltung Gott, Jesus (Christus) und anschließend den Geist. Er wird neben Wort und Brot und Wein neu belebend tief in die Seele gelegt, und ob er als Interpretament für diese dient, bleibt wie seine mystische Vereinigung unsichtbar für andere, ein Geheimnis. Sie ist Teil der neuen Frömmigkeit.
Evangelische Züge sind benennbar: Die notae ecclesiae das Wort, Leib und Blut lutherisch/reformierter Tradition werden genannt. Wo findet die Feier statt?
Der Mensch wird ohne Vorbedingung angenommen, so wie er ist, keine Werke gehen ihm voraus. Rechtfertigung allein aus Gnaden, sola gratia. Aber Christus als der Mittler mit Passion, Kreuz und Auferstehung werden nicht genannt, stattdessen steht die mystische Hochzeit Jesu mit der Seele.
Der nun himmlischen Freude folgt der Dank. Vollzieht er sich als Frucht des Glaubens in der Innerlichkeit oder wird er doch auch öffentlich, in der Kirche ausgesprochen?
Von einer auf Kirche beruhende versammelten Gemeinde ist keine Rede, ebenso wenig von einer auf Glauben beruhenden Lebensausrichtung im Blick auf den Nächsten und die Welt. Nur der persönlich angenommene Mensch ist ganz im Fokus des Geschehens, kein diakonisches Handeln am Nächsten (bleibt der Pestkranke wegen der Ansteckungsgefahr außen vor) kein Gedanke der Verantwortung für/in der Welt.
Für mich gehört die neue Frömmigkeit sicher als notwendiger „Ausgleich“ zur (hochgebildeten) Orthodoxie, aber mehr noch sehe ich in ihr eine theologische Entgegensetzung zu dem weltlichen Jammertal, in welchem sich die Menschen in dieser Pest-Zeit befanden. Innige Jesusliebe, die aus dem menschlichen Elend direkt in das himmlische Leben führt. Diese Hohe-Lied Rezeption darf als Trosttext/-büchlein betrachtet werden und gehört unbedingt bereichernd in das evangelische Frömmigkeitsleben.