
Was weiĂ Theorie? In ihrem Aufsatz "Shame in the Cybernetic Fold" (1995) monieren Eve Sedgwick und Adam Frank die ihrer Ansicht nach verkuÌrzenden methodischen ZugĂ€nge poststrukturalistixscher Theorien: Obwohl diese versuchen, binĂ€re Erkenntnisstrukturen zwischen Natur/Kultur, Selbst/Anderem, Subjekt/Objekt zu unterlaufen, halten sie doch an der Sprache als einem binĂ€ren symbolischen System fest, das Wirklichkeit reprĂ€sentiert, nicht aber Wirklichkeit ist. Ausgerechnet die ungezuÌgelt spekulative Affekttheorie des Psychologen und Kybernetik-Interessierten Silvan Tomkins wird fuÌr die Autor_innen zum Ausgangspunkt, Theorie auĂerhalb der reprĂ€sentationalen Struktur von Sprache zu denken und damit zu queeren. Tomkins Theorie ist eine Theorie der Scham, der differenzierten Affekte und des verkörperten Wissens. Sein Denken ist in einem Moment der technologischen Innovation und theoriegeschichtlichen Verschiebungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts situiert. Zur Verhandlung stehen das VerhĂ€ltnis zwischen Kybernetik und Strukturalismus, digitalen und analogen (Denk-)prozessen, und damit auch die Grenzen zwischen Kultur- und Natur- bzw. Lebenswissenschaften. Entlang dieser "kybernetischen Faltungen" und in ambivalenter NĂ€he zu Tomkins problematischen Annahmen uÌber die menschliche Kognition und Empfindung machen Sedgwick und Frank die ZentralitĂ€t von Scham in Tomkins denken fuÌr die Queer Theory produktiv. Was weiĂ Affekttheorie? Was weiĂ Scham? Ist Medienwissenschaft schamlos?
Ausgehend von Sedgwicks und Franks Aufschlag fuÌr eine Queer Affect Studies behandelt das Blockseminar Scham als Zustand, diskursiver Gegenstand, autotheoretische Methode und operationale Störung in den intersektionalen Gender Queer Medienwissenschaften. Was leisten negative Affekte in der queertheoretischen und/ oder rassismuskritischen Arbeit? Wie ist shaming eingebunden in die soziale Kontrolle, Ăberwachung und Normierung von Körpern? Ist queere Scham eine kollektive Erfahrung? Was haben Körperscham, Klassenscham und Flugscham miteinander zu tun? LĂ€sst sich Cringe als eine rezeptionsĂ€sthetische Kategorie beschreiben? Und was ist die Lust am guilty pleasure? Wie betrifft weiĂe Schuld (und wen)? Was fuÌr einen Unterschied macht es, in der erinnerungspolitischen Aufarbeitung der deutschen Verbrechen des 2. Weltkriegs von deutscher Scham (Theodor HeuĂ) oder deutscher Schuld (Richard von WeizsĂ€cker) zu sprechen?
- Kursleiter/in: Vera Mader